Survive this

20.12.12

Mein Finger tippt kurz auf den ‚Ablehnen‘ Button. Kerstin hat mich eingeladen auf die Weltuntergangsparty, via Facebook. Am 21.12.12 um 00:00 gehts los. Mein Ablehnungsgrund ist: „Hab‘ Nachtschicht.“
Kerstin ist die Schwester von meinem Ex. Nicht dass wir besonderen Kontakt zueinander hätten Kerstin und ich, vermutlich hat sie einfach jeden in ihrer F-Liste eingeladen, weil sies witzig fand. Ich mag den Gedanken den Weltuntergang per Facebook-klick abzulehnen. Stell dir vor die Welt geht unter und keiner geht hin.
Um Neun mach ich mich dann langsam auf dem Weg. In Arbeitsklamotten, weil ich zu Faul bin mich in der Arbeit dann umzuziehen und mein Scirocco ist so oll, dass ich den mit meinen Sachen auch nicht mehr verdrecken kann. Den hab ich übrigens, weil ich ihn mag…die alte Prollschleuder. Weil er so alt ist, dass ich ihn noch selbst reparieren kann, wenn er hustet und weil er nicht so aussieht, als hätte der Dampf unter der Haube. Hat er aber. Könnte mir auch etwas neues leisten, aber es ist mir meistens zuwider mich der Meinung der Masse zu beugen. Eine Masse die BMW toll findet oder.. Jack Wolfdings. Dann lache ich über mich selbst..ironischer Weise…denn das Tablet ist auch ein Massenprodukt, das keiner braucht und trotzdem jeder will. Ich auch. Es ist halt Spielzeug. Eben jenes Spielzeug packe ich in den Rucksack, den mir die Firma zum letzten Weihnachten schenkte. Da ist noch anderer Kram drin…alles was man so braucht heutzutage. Ladekabels für Handy und Tab und Kopfhörer für beide und USB Stick und Adapterdinge für USB Sticks und OBs. Ein Buch. Taschentücher. Ein leuchtend gelber Snap-on Steckschraubendreher mit diversen Bits…weil es mir wirklich auf den Senkel geht für jeden Scheissdreck die Werkzeugkiste aus dem Auto zu holen. Da in der Arbeit. Ne Mütze, weil es ist kalt des Nachts und ein Pali-tuch…weil es ist kalt des Nachts. Und Arbeitshandschuhe aus Leder… meine Patienten sind dreckige kleine Biester.Bürste. Deo. 2 Dosen Red Bull. N Apfel. Ne Kecksdose die mein Vater mir schickte. Kabelbinder. Ne Kopflampe, mit der man echt blöde aussieht, aber es hilft beim arbeiten, wenn man beide Hände frei hat. Kugelschreiber..Papier…und was dann noch in den Untiefen so rumlungert in die man sich für gewöhnlich nicht vorwagt beim wühlen.
Die Sicherheitskontrolle lasse ich über mich ergehen und denke mir wie jedesmal, ob denn wirklich jemand glaubt, ich müsste etwas auf das Flughafengelände schmuggeln um Schaden anrichten zu können, wenn ich denn Schaden anrichten wollen würde. Doch egal, wie klein der Dortmunder Flughafen auch ist…in Sachen Sicherheit, kann er es durchweg mit dem Münchner Flughafen aufnehmen…man fühlt sich immer ein bisschen wie ein Schwerverbrecher.
Meine mir noch immer neue Kollegen begrüßen mich verhalten, als ich den Aufenthaltsraum kurz vor zehn betrete. 2 Monate arbeite ich jetzt hier, das ist noch zu wenig Zeit um mit jemand warm zu werden, vor allem wenn man so……hm…ist wie ich.
„Hi Evchen…“ sagt Dieter und lächelt mich recht freundlich an. „Die Verniedlichung kannst du dir schenken…“ erwider ich in einem Tonfall der sehr viel abweisender ist, als ich das eigentlich will…er hebt gleich beschwichtigend die Hände. Es tut mir leid, aber wenn sie mich einmal für ein Mädchen halten, dann versuchen sie nur mit mir in die Kiste zu kommen und das arscht mich so an…da bleibe ich lieber Eigenbrödler. Das…wird dann auch der Hauptgrund sein, weswegen ich mit niemand so richtig warm wurde.
Der Schichtleiter – sein Name ist Karsten – verteilt Leute auf Flugzeuge. Viel sind wir nicht. 5…inklusive Schichtleiter. 4 Leute für 3 Flugzeuge. Einen Embraer, zwei Dash 8.
Karsten bleibt bei mir stehen..blickt auf seinen Zettel und erklärt: „Du schnappst dir ein Auto und ein Modkit…draussen auf der 80 steht die Mike Charlie, da muss die MAU neu verdrahtet werden, weil der QAR zuviel Daten abspeichert und dauernd voll ist“
Ich nicke artig blicke auf die Uhr und wieder zu meinem Chef. „Bis wann brauchen wir den Flieger wieder?“
„Um 12 Uhr soll er wieder fliegen.“ erklärt er, woraufhin ich geflissentlich den Kopf schüttel. „Da kannst du dem Herren von der Arbeitsvorbereitung gleich sagen, dass er für die Arbeit mindestens 20 Stunden planen kann..und das auch nur wenn alles gut läuft. Was hat der denn für Fantasien?“ Karsten lächelt kurz, weil er die Debatte kennt und weiß, dass 12 Uhr unrealistisch ist..er beugt sich etwas zu mir runter und sagt: „Bringst dus nicht?“
Ich schneid ihm eine Grimasse: „Du Arsch, du kannst gern an meiner statt da rein kriechen, wenn dus besser weißt.“ Karsten klopft mir auf die Schulter und lächelt weiter. “ Ne lass mal. Mach einfach soweit wies geht und hör früh genug auf um mit der Frühschicht ne vernünftige Übergabe zu machen okay?“
Eine Stunde später sitze ich mit allem möglichen Krimskrams bewaffnet im Flugzeugbauch..Middle Avionisbay…In meinen Ohren stecken Stöpsel und ich höre auf bemerkenswerter Lautstärke den immer gleichen Carnage Festival Remix von Spaceman. Das ist beinahe meditativ…und ich bemerke kaum wie die Zeit vergeht, während ich diverse Leitungen ausbaue…andere neu verlege..alte Verbindungen löse um neue zu schaffen. Ich mach die Arbeit nicht zum erstenmal und hab alles dabei. Abgesehen davon, ist es eine Schweinsarbeit…bei der man sich diverse blaue Flecken holt..weil dort wo man hin muss um eine Leitung zu kriegen..für gewöhnlich schon ein Rohr liegt, dass auch nicht beiseite geht. Trotzdem bin ich dankbar für den Job heute Nacht, weil ich einmal mehr keine Gelegenheit hab über meine persönliche Situation nachzudenken und….das ist mir ganz recht so.
Mir nichts, dir nichts. ist es dann halb sechs…den einen Teil …den schwierigeren wohlgemerkt! hab ich fertig gemacht..ein guter Zeitpunkt um Papierkram zu machen..als ich meine Füße in die Luke stecke um wieder aus dem Flugzeug zu kommen stelle ich fest, dass irgend so ein Witzbold meine Leiter geklaut hat. Doch um die Uhrzeit mag ich mich nicht mehr ärgern und es ist nicht so hoch, dass ich so nicht runter käme..also räum ich meine ganzen Werkzeuge und Utensilien in meinen Rucksack, weil ich gleich nicht mehr hochkomme, wenn ich runter gesprungen bin…und mach dann genau das.
Auf dem Vorfeld bemerke ich dann, das auch mein Technikauto weg ist und….das verdirbt mir denn doch ein wenig die Laune. Also zieh ich Thermojacke, Mütze und Tuch an und stampfe zu Fuss zum Büro…schon mit dem festen Willen so ungelaunt zu sein, dass sie keine Freude daran entwickeln werden solche Späße mit mir zu treiben.
Das Büro allerdings ist leer…weder die Nachtschicht noch da…noch die Frühschicht schon. Hm.Meinen Papierkram mach ich trotzdem, allerdings lässt mich der Computer nicht ins Internet um die notwendigen Daten abzurufen. Keine Netzwerkverbindung. Neustart. MsDos Ebene. Tracert url ergeben…nein. Es gibt wirklich kein Internet. An keinem unserer Pcs. Alter…wenn ich die Flugzeuge so warten würde, wie unsere EDV Abteilung die Computer…. Unter dem Nachbartisch fällt mir der Arbeitskoffer von Dieter ins Auge. Der muss also noch hier sein. Ich schnapp mir das Funkgerät aus dem Chefbüro und frag auf dem Sammelkanal für unsere Technik nach Dieter…dann nach irgendjemand…dann nach niemand. Die haben echt schon Feierabend gemacht..ohne mich. Was für Schweine. Ausser Dieter. Es…geht mich ja nichts an…aber ich lauf mal bei den Kaffeeautomaten vorbei. Im Rauchergang…sogar auf der Männertoilette guck ich nach. Das fühlt sich komisch an. Also nicht dass man des Nachts auf dem Flughafen nicht öfters mal alleine wäre..also…menschenseelen allein, aber…
Ich geh jetzt heim, das ist mir zu bunt. Feierabend ist auch. Auf dem Weg zur Umkleide höre ich aus dem Männerabteil ein Geräusch und weiß damit auch wo Dieter ist. Alles gut – ich geh schon weiter, mit dem Rucksack locker um die Schulter..auf dem Weg nach draussen geb ich dann das Werkzeug ab….da werd ich langsamer und horch nochmal. Stille. Es kribbelt mich in den Zehen. Immernoch Stille. Das kribbelt kriecht von den Zehen die Knie hinauf. Ich kenn das schon. Meine Hände ballen sich zu Fäuste, dann mache ich kehrt und anstatt in meiner eigenen Umkleide zu verschwinden gehe ich zurück und mach den Schritt in das Männerabteil.
Stille.
„Dieter?“ ruf ich so in den Raum. Nichts. „…oder sonst wer?“ Ein weiterer Schritt. Es…fühlt sich falsch an. Also nicht nur ich in der Männerumkleide..alles. Das völlig leere Büro. Die Stille. Das fehlende Internet. Und dann hör ich es. Das leise hektische Schnaufen. Mein erster echt eigenartiger Gedanke ist, dass sich einer der Kollegen hier einen runterholt..was wirklich nichts ist, was ich sehen will…stehen bleib ich trotzdem. Lausche weiter. Höre es immernoch, so als hätte sich mein Gehör auf die Stille eingestellt. Das Schnaufen klingt nicht…..geil.
„Hallo?“ werfe ich zögernd….leiser in den Raum..ich sollte gehen und noch während ich mir das denke, gehe ich schon weitere Schritte hinein…sehe die Spinde..zwei drei sind offen..ein paar Klamotten liegen auf dem Boden..wie achtlos liegen gelassen. Meine Kollegen sind Schweine. Ein hellblaues Arbeitshemd liegt auch da mit…rot durchsifftem Ärmel. Scheisse.Da hat sich jemand eine fiese Verletzung zugezogen….das…passiert leider manchmal in meinem Job…darum ist auch keiner hier, vermutlich haben sie ihn zum medizinischen Dienst gefahren und so. Die Anspannung fällt etwas von mir ab, da hör ich noch immer das Schnaufen..aus den Duschräumen. Uhm…. Und dann hab ich die Faxen dick. Wenn sich hier wirklich jemand einen schrubbt, dann wird er das wohl einstellen müssen, denn ganz dumm will ich nicht sterben, also stapfe ich entschlossenen Schrittes in die Duschräume..blicke Todesmutig in jede Kabine. In der letzten entdecke ich Blut am Vorhang… und schiebe diesen entschlossen beiseite und finde dort…Dieter.
In Arbeitshosen, aber nacktem Oberkörper sitzt er pitschnass in der Dusche und blutet traut vor sich hin. Sein Blick starr nach vorne gerichtet, ist er derjenige der so vor sich hin japst. Hyperventiliert. Sagt mein erste Hilfe Kurs. Ich bin….schockiert und starr ihn Sekunden….Minutenlang…so an, wie er die Wand anstarrt ohne auf mich zu reagieren. Dann atme ich tief aus und ich gehe in die Hocke und lege ihm meine Hand auf den unverletzten Arm. Vermutlich hat er einen Schock.
„Dieter..?“ spreche ich ihn vorsichtig an. Heiss ist er. Dabei werfe ich einen Blick auf die Verwundung und…bin verblüfft wie überaus beherrscht ich bleibe bei dem Anblick von…nun…fehlendem Fleisch? Mein Hinterkopf sucht nach einer adequaten Erklärung..welches Werkzeug könnte wohl ein Stück Fleisch rausreissen. Meine Lippen sprecher derweilen. „Dieter?Dieter….sieh mich an…du musst ruhig atmen…hörst du?“
Er hört nicht. Aus meiner Berührung wird ein vorsichtiges Ziehen. Aber Dieter ist nicht ansprechbar und ich fühle mich nicht ausgebildet genug um mit dieser Situation vernünftig umzugehen. Also zücke ich mein Handy um den Notarzt zu rufen. Allerdings hab ich kein Netz. Das ist….
Für einen Moment schwappt eine Welle von Überforderung über mich hinweg…Dieter allein lassen. Schlecht. Also…die Vorschriften beugen. Erstversorgung einleiten. Dann Hilfe holen. Dann stabilisierende Maßnahmen. Der erste Hilfe Kasten ist ganz nah und…Dieter wehrt sich nicht, als ich ihm einen wirklich großen Druckverband anlege..obwohl…er nicht so sehr blutet, wie er es meiner Meinung nach tun sollte. Dieter….arbeitet allerdings auch nicht mit. So krieche ich um ihn herum und stelle dabei fest, dass er…nicht so toll riecht. Die Verletzung sieht irgendwie nach…Hund oder sowas aus. Rausgerissen, soweit ich das beurteilen kann. Es leben NCIS und CSI Serien. Auf dem Flughafen haben wir nur Polizeihunde. Vielleicht einer von denen?
Ich versuche Dieter ein weiteres Mal dazu zu bewegen mit zu kommen doch der weigert sich nach wie vor. Also husche ich wieder ins Büro und rufe über Festnetz im medizinischen Dienst an…doch da geht niemand ran. Notarzt, ist belegt. Das Gefühl einer Verschwörung zu unterliegen……aber ich bin eine Frau der Tat und wenn das so nicht geht, dann fahr ich ihn halt selbst ins Krankenhaus….doch als ich in die Männerumkleide zurück kehre finde ich nur noch nasse Fusstapser …die…in die Frauenumkleide führen. Er…sucht mich? Warum er allerdings kein Licht gemacht ist mir nicht klar….mein Herz klopft Alarm…was kein Wunder ist….die Situation ist zu….Zu. Ich mache Licht und folge den spärlich werdenden Spuren und finde mich allein…
„Dieter…?“ Leiser klinge ich, als ich es wollte. Auf dem Boden liegt der blutige Verband…und seine Arbeitshose.
???
Meine Nackenhaare stellen sich auf bei der Vorstellung, wie er..hier nach mir suchte…mich nicht fand…den Verband abnahm….sich…auszog?…ähm….es fröstelt mich und ich mach die Thermojacke zu. Mehr..Automatisch als durchdacht gehe ich zum nächsten EH Kasten und packe ihn ein, damit ich ihm einen neuen Verband machen kann wenn ich ihn finde…. oder…er dich……mein Rucksack rutscht mir von der Schulter, also ziehe ich ihn vernünftig an. Irgendwas läuft schief. Ich suche Dieter und finde weder ihn..noch jemand anderen, also..werde ich trotzdem zurm Krankenhaus fahren oder zur Polizei..und sagen, dass…hier etwas schief läuft, ich aber nichts machen kann. Der Ordnung wegen…nehme ich mir im Büro des Chefs einen Zettel Papier und schreibe in Stichpunkten auf, was hier passiert ist und wohin ich jetzt fahre und dass ich jetzt fahre und dass ich das Handy dabei habe…und erreichbar bin, wenn ich wieder Netz hab. und während ich den Zettel anstarre und mich frage, ob da alle wichtige Information draufsteht packt mich jemand an der Thermo weste und zieht mich seitlich zurück…hält mich an der Weste und von schräg hinten neben dem Rucksack… in einem nackten Arm fest wie ein stürmischer Liebhaber.
„Evchen…“ flüstert er mir zu und ich könnte kotzen. Ich…suche in meinem Kopf nach klugen Dingen, die ich tun könnte. Aber alle Informationen purzeln gleichzeitig auf mich ein. Dass es Dieter ist. Dass er verletzt ist. Dass er sich komisch verhält. Dass alles hier komisch ist. Dass er mich festhält. Dass er mich an der Weste festhält und dass ein Problem ist und während mein Kopf lustig weiter wild durcheinander Dinge denkt, heben sich meine Hände…ganze langsam..und öffnen den Reissverschluss der Weste.
„Eeeeevchen…..“ wiederholt er und da ist ein Timbre das…mich zittern lässt. Obwohl ich so ängstlich nicht bin. Er…lässt mich machen…was ich tu, als…geschähe es in seiner Wahrnehmung gar nicht. „….ichhhhh…mag….dichhhh…“ Und dann kichert er und mein Herz setzt einen Moment aus….wie mein Gehirn…ich glaub, das ist Panik. Ich greife nach dem Arm..der mich umschlugen hält und schiebe ihn langsam nachdrücklich weg….und das funktioniert auch, bis zu der Sekunde, als Dieter begreift, was ich zu tun gedenke..da..will er wieder zu ziehen..doch ich schlüpfe nicht nur unter seinem Arm hindurch..sondern im gleichen Zug auch aus meiner Weste raus…und bin einen Augenblick schon zwei drei Schritte entfernt, bevor ich mich umdrehe.
Das Bild ist absurd. Bis auf rot gefärbte weisse Shorts..ist er nackt und blass…die Haare noch immer nass. Und er sieht die Weste vorwurfsvoll an, als hätte er noch nicht ganz verstanden, dass die Person darin jetzt fehlt. Als müsse er überlegen, in welcher Tasche sie sich wohl versteckt haben könnte. Und dann sagt er nochmal….“Evchen…?“ So ehrlich verwundert, dass ich in aller Absurdität lachen muss und da…da dreht er dann den Kopf und sieht mich an und etwas in mir begreift, dass sich das Verhalten mit einem Schock allein nicht erklären lässt. Seine Gesicht..verzieht sich zu einem erfreuten Grinsen und seine Stimme scheint mir tiefer als noch eben…als er meinen Namen ein weiteres Mal wiederholt.
Evchen.
Ich habe Angst vor ihm. Ehrliche. Echte. Angst. Angst die jedes Mitgefühl und jedes Verständnis für seine Situation vernichtet. Angst die jedes nachdenken dafür, wie ich später wohl erklären könnte, warum ich einer verletzten Person weh tat, beiseite wischt. Dieter lässt Weste wie Rucksack fallen und kommt auf mich zu und ich warte nicht, bis er mich wieder ergreift. Ich übernehme die Kontrolle über die Situation. So wie ich es gelernt habe.
Dieter ist mehr verblüfft denn wehrhaft, als ihn mein Tritt nach hinten befördert…ich…übrigens auch. Sandsack ist die eine Sache. Menschen sind….weicher. Adrenalin rauscht in meinem Blut…und ich bücke mich zitternd nach meinem Rucksack…zitternd vor Angst und Anspannung. Dieter kämpft mit sich und damit aufzustehen…und ich…ich suche das Weite. Laufe zum Parkplatz um auf halben Weg zu erkennen, dass zuviele Autos im Weg stehen, als dass ich einfach nach Hause fahren könnte. Haare raufen. Weiche Knie…keine Ahnung. Wohin mit mir. Was tun. Was passiert. Die Überforderungswelle, die ich vorhin zurückschlagen konnte, schwappt jetzt über mich und mein Gehirn stellt mir vor die Wahl mich hier an Ort und Stelle nieder zu legen und aufzugeben oder zu meinem Wagen zu gehen. Ich wähle den Wagen, mache ihn hinter mir zu. Verkrieche mich auf der Rücksitztbank…verdunkelte Scheiben. Eine Decke, die dort immer liegt….dann weine ich die Anspannung aus meinen Glieder und…schlafe einfach ein.

 

21.12.2012

Ein ziehender Schmerz im Nacken weckt mich.  Fühl mich, als hätte ich auf Steinen geschlafen. Es gibt so Tage…..mein ganzer Körper ist verspannt.Kopfweh. Kalt ist mir auch, streck mich trotzdem soweit meine Glieder mich lassen, weil der Raum in dem ich liege begrenzt ist. [i]Uhm?[/i]

Die berechtigte Frage, warum ich in meinem Auto liege drängt sich in mein Bewusstsein. Mit meinem Erwachen kehren auch die Bilder der vergangen Nacht zurück. Sie scheinen mir abwegig.  So abwegig, dass mich ein fürchterlich schlechtes Gewissen befällt, als mir wieder einfällt, dass ich einen meiner Kollegen getreten habe…. Weil er mir komisch vorkam. Tolle Begründung. Komisch komm ich mir auch vor, als ich mich wie ein 80jähriger Krüppel langsam aufrichte. Der Schmerz in meinem Nacken ist fies…ich plane auf dem Weg nach Hause bei einer Apotheke vorbei zu fahren und mir Wärmecreme mitzunehmen. Dann Kaffee. Für eine Tasse Kaffee könnte ich gerade töten. Warmen leckeren Kaffee. Eine heisse Wanne. Plan.

Sekunden später  sitz ich auf dem Fahrersitz und starte den Motor. Raus aus der Parklücke, rechts abgebogen…raus aus dem kleinen Parkhaus um die kleine Kurve  rum , die zur Ausgangsschranke führt allerdings hat meine Heimreise ein Ende. Weil dort lauter Autos stehen. Mehr oder minder ordentlich, aber gemäß offen stehender Türen ganz offensichtlich verlassen. Die standen dort gestern auch schon, ich erinner mich. Mein Herz macht einen Sprung. Man muss einfach zugeben, dass sowas normal nicht passiert. Und obwohl ich nicht übermäßig an der Realität hänge bringt mich diese Abweichung völlig  aus dem Konzept. Mein Puls beschleunigt, als hätte ich einen Sprint begonnen…die Knöchel an meinen Händen die das Lenkrad halten werden weiß. In meinem Kopf spielen sich Szenen ab, wie etwas geschieht…das alle aus ihren Autos aussteigen lässt…zu Fuss flüchtend, anstatt zu fahren. Ein Atompilz. Bombendrohung. [i] Die hätte ich hören müssen…[/i]

Vielleicht….ein terroristischer Anschlag. Da wird das Gelände umgehen evakuiert. Keine Zeit für Besitzsicherung. Das würde auch die Leere erklären. Das SEK entfernt alle weiteren möglichen Geiseln und sperrt den Flughafen weiträumig ab und ich…ich habs verpasst, weil mich dort einfach niemand sah oder vermutete und den Funk hörte ich nicht wegen der lauten Musik. Mein Puls beruhigt sich wieder. Nicht dass terroristische Anschläge etwas beruhigendes ansich hätten, aber es ist für mein Gehirn nachvollziehbar. Dieter…

Dieter. Vielleicht kam er irgendwie in ….so eine…Sedierungsgaswolke oder…weiß der Kuckuck was die Polizei auf Lager hat. Und ich hab ihn noch getreten. Ich muss zur Polizei und ihr sagen, dass sich noch jemand auf dem Gelände befindet der vermutlich nicht ganz zurechnungsfähig ist. In dem Loch, das aus dem Parkhaus raus führt erscheint kurz ein Schatten. Da ist wer. Meine Mütze und meinen Schal steck ich in den Rucksack…halb vermummt herum hüpfen, wenn der SEK Terroristen jagt wäre nicht die beste aller Ideen. Dann bin ich auch schon nebst Rucksack auf dem Weg nach draussen…verhalten, weil ich irgendwie damit rechne, dass aus dem Nichts plötzlich ein Haufen Uniformierter springen und ihre Waffen auf mich richten. Aber da springt niemand.  Der Gehsteig vor dem Terminal ist absolut leergefegt, was an und für sich schon irgendwie gruselig ist.  Mein Kopf dreht sich auf die andere Seite, nimmt die Tankstelle dort in Augenschein, die wie immer orange rumleuchtet. Es stehen noch Wägen an den Zapfsäulen. Ein Stück weiter seh ich einen BWM an einem Baum, auch dort steht die Tür offen. Keine fahrenden Autos. Wie weit die wohl so ein Gebiet abriegeln?

Kurz spiel ich mit dem Gedanken eines der offenen Autos zu nehmen, die so günstig stehen, dass ich damit losfahren könnte…doch meine Erziehung hält mich davon ab. Immerhin gehört mir das nicht und auch eine Abriegelung ändert daran nichts. [i] Nur geliehen Herr Polizist, wirklich![/i]

Ich werde einfach bis zur normalen Busstation hinter dem Porschezentrum gehen. Querfeldein. Unterwegs sehe ich einen Wagen aus Richtung des Wohngebietes kommen…sträflich schnell und dann ist er auch schon weg. An der Tankstelle wäre ich beinahe einfach so vorbeigelaufen, da seh ich hinter dem Lenkrad eines blauen Peugot eine Frau sitzten und recht verbissen Essen. Etwas schiebt sie sich gerade noch in den Mund, dann sinkt ihre Hand auf den Beifahrer sitz und nimmt von dort etwas neues….drei vier Schritte verwandeln etwas in eine Wurstsemmel. Mhh…Frühstück.

Spontan beschließe ich einen Zwischenstopp an der Tanke. Die Frau wird mir schon erzählen können, was hier vor sich geht. So näher ich mich unverdrossen und gebe mir Mühe möglichst gut zu sehen zu sein…was die Frau gänzlich ignoriert….und dementsprechen erschreckt, als ich sie mit einem deutlichen „Guten Morgen“ begrüße. Neben ihr auf der Fahrerseite steh ich, von dort seh ich, dass sie auf dem Beifahrersitz unmengen von Wurstsemmeln liegen hat, so als hätte sie die Auslage einer Bäckerei ausgeraubt. Ein paar Semmelreste liegen im Fußraum dazu.  Ich lächel…oder so und sie hört mit dem Essen auf und starrt mich an…misstrauisch.  So vergehen einige Sekunden, dann bedeute ich ihr das Fenster runter zu kurbeln, was sie tut…einen Spalt breit. Innerlich winke ich ab, vermutlich sehe ich grässlich aus.

„Guten Morgen“ wiederhole ich und bemühe mich um eine sympathische Ausstrahlung. „….verzeihen sie ich….laufe ein wenig neben der Spur…können sie mir sagen was ….“ Ich  beschreibe eine reichlich allumfassende Geste. „….passiert ist?“

Die Frau schluckt das Stück Semmel runter..blinzelt und wirkt trotz der Blässe echter als noch eben. Menschlicher. Ihre Schultern ziehen sich hoch…sie holt Luft die ungenutzt ausgestoßen wird. Ein Kopfschütteln, dann sieht sie mich an. Der Ausdruck in ihren blauen Augen ist…verloren…irgendwie.

Ihre Stimme klingt brüchtig. „Mein Mann hat unseren Sohn gefressen“

Ich schüttel den Kopf und beuge mich näher zu ihr, was ich gehört hab, kann so ja nicht wahr sein.

„Verzeihung?“

In einer hilflosen Geste breitet sie ihre Hände aus..[i]mit dieser Wurstsemmel[/i] und holt erneut Luft. „Mein Mann kam von der V-Schicht heim…heute Nacht und es ging ihm nicht gut. Hat nicht geredet mit mir, nicht wirklich. War ganz heiss und hat sich direkt ins Bett gelegt. Ich………..ich folgte ihm und heute Morgen wach ich auf, ganz früh und er ist nicht da…mein Mann.“ Erläutert sie…der Blick ins Nichts gerichtet, obwohl sie zu mir sieht. „ Dann hör ich ein Geräusch im Zimmer unseres Sohnes und….und geh dahin, ganz schlaftrunken und…da seh ich wie mein Mann bei meinem Sohn auf dem Bett sitzt…ihn fest umarmt hält und…Blut läuft den Rücken hinab…aus dem Nacken. Karl hat einfach in den Nacken meines Kindes gebissen.“ Und wieder zuckt sie mit den Schultern.

Ich….steh nur da und sehe sie an. Unschlüssig ob ich das Ernst nehmen kann…soll…darf? Etwas…muss passiert sein, denn die Blauäugige Blondine ist eindeutig von der Rolle. Jetzt erst sehe ich, dass sie ein Nachthemd trägt und darüber einen Mantel. Ein seltsamer Schmerz schleicht sich in meine Brust.

„Ich bin dann gefahren“ erzählt sie weiter.

„Und ihr Sohn?“ frag ich.

Daraufhin ziehen sich ihre Mundwinkel nach unten. Keine Antwort. Meine Stirn legt sich kraus. Gehe ein paar Schritte zurück – ein Blick aufs Nummernschild. Münster. Und kehre zu ihr zurück.  Sie sitzt da immernoch regungslos mit dem Gesichtsausdruck der schon beinahe eine Karrikatur sein könnte. Und dann hör ich es. Dumpfes Pochen von hinten. Aus dem Kofferraum. Ich lausche…sie…scheint es nicht zu bemerken …beisst einfach wieder in die Wurstsemmel….während ich zögerlich näher zum Kofferraum gehe und…auch mal dagegen klopfe. Stille. Dann hör ich etwas dumpfes. Kein Klopfen. Worte…beug mich tiefer und höre ein undeutliches…langezogenes …..wie von einer falsch eingestellten Platte stammendes…

[i] Maaaamaaaaa[/i]

…und weiche unwillkürlich zurück.  Mein Gehirn weigert sich eine geraume Zeit die logische Schlussfolgerung zu ziehen, dann stampfe ich wieder zu der Frau, reisse die Türe auf und fahr sie  an.

„Sag mal hast du dein Kind in deinen Kofferraum gesteckt? In deinen KOFFERRAUM??????“ Schnappe nach Luft.  Mir platzt der Kragen. Kann es nicht glauben, geht es denn noch kränker?

 

Ein Schaudern durchfährt sie….sie zieht sich zusammen, als hätte ihr jemand in den Bauch geschlagen.  Und obwohl sie die Wurstsemmel fallenlässt und sich beide Hände vor den Mund hält, kann sie das bereits verdaute Essen, dass daraus hervorquillt nicht aufhalten. Es rinnt zwischen den Fingern hindurch und der Geruch verursacht auch mir Übelkeit. Soll sie kotzen die Irre. Meine rechtschaffene Empörung kann kein Mitgefühl für sie aufbringen, stapfe nach hinten und mach den Kofferaum auf.

Hätt ichs nicht getan.

Hätt ichs lieber nicht getan.

Der Anblick des Kindes schnürt mir die Kehle zu…merke gar nicht, dass mir Tränen runterlaufen. Mein Atem geht so schnell. Das passt nicht in meine Realität. Nicht in meine Welt. Wie eine kaputte Puppe, liegt es da..mit dieser aufgerissenen Wunde im Nacken. Die Augen weit offen, den Mund offen. Wie tot. Aber ich weiß, dass ich es sprechen hörte.  Das Bild zu sehen, tut körperlich weh, denn es verrückt mich. Dinge auf die ich mich bisher immer verlassen konnte, werden plötzlich unstet. Väter knabbern nicht an ihren Kindern. Kann nicht aufhören den toten Leib zu betrachten…..und dann dreht es den Kopf.[i] Mamaaaa.[/i]

Das nächste was ich weiß ist, dass ich laufe. Nicht nur von dem Auto weg. Auch von allem, was diese Begegnung mit sich bringt. Die vage Ahnung, dass es keine Erklärung geben wird. Die Befürchtung, dass es nicht genügt den Flughafen zu verlassen um die echte Welt wieder zu finden.

[i] Münster[/i]

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