02.Eva und die Jagd

Sonnenuntergang ist noch keine Stunde vorbei und ich bin schon mit der U-Bahn unterwegs in eine andere Wohngegend, weil – ich hab Hunger. Der Maler lies mich auf Hvar selbst was organisieren, ich bin ja eigentlich auch schon zu alt, um mir alles vorsetzten zu lassen. Am Anfang hat ich ja schon ein ganz mulmeliges Gefühl, aber es war einfacher als ich gedacht hätte. Männer sitzten draussen und trinken und spielen und die Frauen hocken zusammen beim Tee trinken und Dinge für den Haushalt tun. Und du musst nur zu einer gehen und ihr ein Gespräch ans Knie nageln, von wegen wie man was kocht oder wie man was macht und dann dauert es nicht lange und sie zieht dich in die Wohnung um dir das Gegenteil zu beweisen. Auf Hvar ist jede Hausfrau, die beste Hausfrau und absolut bereit dir das vor Augen zu führen. Und dann ist es eigentlich nur noch das warten auf den richtigen Moment und gut.
Soviel zu Hvar.
Ich steig aus der Ubahn und wandel ein wenig ziellos durch die Gegend. Sieht gutbürgerlich aus. So Doppelhäuschen. Fein.
Geduldig beobachte ich die Leute, während ich durch die Straßen renn. Da muss ich mich ganz schön beeilen für, weil die alle rennen, als hätten sie Wespen im Hintern. Männer mit Akten koffern…Frauen mit Kind und Kegeln… Mir ist früher nie aufgefallen wie unheimlich eilig dies alle hier haben. Endlich entdeck ich ein Weibchen, dass allein ist und einigermaßen langsam geht. Zielstrebig geh ich auf die zu und lächle sie freundlich an.
"Hallo!"
Die Frau runtzelt die Stirn und legt einen Zahn zu. Wo will sie denn hin? Ich muss auch schneller werden, um ihr hinterher zu kommen.
"Entschuldigung? Hallo!!" Ruf ich ihr zu, doch sie schüttelt nur abweisend den Kopf, wird noch schneller und eh ich mich verguck, ist sie schon in ein Haus gehuscht und weg.
Ja. Ähm…also.
Das Spielchen geht dann noch mit zwei drei weiteren Leuten so. Ja Himmel sind die alle – unzugänglich.
Ich beschließe, dass es nicht nur an der Umgebung liegen kann, sondern vielleicht auch an meinem System. Also verzieh ich mich ein wenig mehr in die Innenstadt, dort wos Geschäfte hat. Vor einem kleinen Lebensmittelladen, mitten in einer Wohngegend mit vielen großen Häusern, in jedem von denen Leben ganz viel Leute…..da bleib ich stehen. Beobachte, wie die Menschen sich mit den Einkaufstüten abquälen und hab eine herausragende Idee. Find ich zumindest.
Als so ne Omi mit 2 vollen Tüten rauskommt, geh ich wiederum mit einem freundlichen Lächeln auf sie zu und sag ganz artig:
"Hi, ich bin die Eva. Wenn du willst, trag ich dir deine Tüten heim!"…und strecke meine Hände aus um ihr die Last abzunehmen. Da fängt die Olle an zu schreien, ich soll die Finger von ihren Sachen lassen und Diebe und haste nicht gesehen und ich bin so erschrocken dass ich einfach weglaufe.Die sind alle wahnsinnig hier, ich schwörs!
Langsam bin ich etwas gefrustet. Der Maler hat mir erzählt, von dem was sie Jagd nennen. Das Aufspüren der Beute, sie verfolgen und dann wenn niemand auf dich achtet zuschlagen…. Das Niemand auf dich achten ist wichtig, wegen dem Maskerade Dings…lass dich nicht erwischen! Aber ich kann mir mich einfach nicht vorstellen, wie ich jemanden auflauer. Ich bin doch nur nen Mädchen.
Vor dem nächsten Lebensmittel laden ein paar Straßen weiter bin ich dann viel vorsichtiger. Die Idee fand ich so schlecht nicht. Aber jetzt frag ich die Leute aus der entfernung …und…es ist nicht zu fassen. Jeder schüttelt den Kopf. Keiner will meine Hilfe annehmen. Keiner der mir traut. Ich musste mir noch NIE Gedanken machen, wie ich an was zu Essen käme. Doch hier werd ich doch ein wenig unruhig. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was ist denn falsch an mir? Was mache ich falsch?
Nachdenken. Zugucken. Ein Stück von mir entfern, lässt sich ein junger Kerl von einem Opa ne Münze in die Hand drücken, um ihn über die Straße zu bringen. Der nimmt das Geld dafür glatt. Wie kann er…..oder?..hm…
Aus der Türe kommt ein großer Kerl, vielleicht 30 Jahre?.. mit so Jogginghosen, etwas korpulent er hat 4 Einkaufstüten UND eine Rolle Klopapier und versucht das ganze halbwegs stabil zu halten.. Ich starr ihn wohl an, weil er stehenbleibt und mich forsch anspricht. "Was glotzt denn so?"
In meinem Kopf ratterts, ich schieb meine Unterlippe ein wenig vor und sag:
" Wenn du mir zwei Dollar gibts, dann helf ich dir tragen." Der Kerle überlegt kurz und nickt. Der NICKT! HA!
"Aber erst wenn wir bei mir sind klar?"
Beschwingt von der Idee, dass ich vielleicht doch nicht zu dumm bin, mich selbst zu ernähren..nicke ich und nehme ihm zwei Tüten ab.
Ein paar Straßen weiter, geht er in eines dieser Hier-Wohnen-Fünftausend-Leute- Häuser, drei stockwerke a 24 Stufen…als ich höre wie er japst denk ich auch daran ausser Puste sein zu müssen und fiep als tät mich das ganze ziemlich anstrengen. Er öffnet die Eingangstüre, ich gehe hinein in seine Wohnung.
Die Wohnung ist klein, die Einrichtung verkommen. Es ist unordentlich. Er wohnt allein. Er verbringt hier viel Zeit…. Rauch…viel kalter Rauch. Ich bleibe stehen, seine Tüten in der Hand und lasse das alles auf mich wirken. Ordne es ein, ziehe sogar Schlüsse. Schluss….ich höre ein Klicken und drehe mich um. Der Typ hat die Tür hinter sich abgeschlossen.
Höm?
Ich lächle schief und freundlich und halte kurz die Tüten etwas höher.
"Wohin?"
Er zuckt nur mit seinen Schultern und kommt geradewegs auf mich zu, als würd er was von mir wollen….und wieso sieht der mich so an?
Mir fällt ein, dass ich ja eigentlich hier bin um was zu essen….aber..so ..irgendwie….deucht mir, läuft es nicht ganz wie es soll. Ich komm nur noch nicht darauf…..was…
"Sag mal Süße, hat dir nie jemand beigebracht, dass man nicht mit fremden Leuten mitgehen darf?" Seine Worte gehen an mir vorbei, aber der Unterton in seiner Stimme lässt mich aufhorchen. Hunger. Ich höre Hunger.
In Gedanken verlasse ich meine derzeitige Position und betrachte dass alles von einem anderen Standpunkt. Eva , jung, weiblich. Kerl , groß, einfach gestrickt. Seine Wohnung. Allein. Ich schwach. Er nicht.
Ich fühle mich um meine Tätereigenschaft betrogen und in die Opferrolle verschoben. So was ist mir ja noch nie passiert. Es geht nicht mal darum, dass ich fürchten würde, was er mir antun könnte. Es ist nur so, dass nicht ich diejenige bin, die hier drin die Spielregel festlegt, ich bin nicht diejenige – die das kontrolliert. UND ich werde nicht diejenige sein die da mitspielt, also setzt ich seine Tüten ab und mache mich auf Richtung Tür.
Dann gehts recht fix. Als ich an ihm vorbeigeh, holt er aus, schlägt mir mit der Faust ins Gesicht und ich find mich am Boden wieder. Einfach so. Derart brutal.
In diesem Augenblick, entfächert sich das Muster. Das Muster, in dem Verhalten der Menschen hier. All jene die ihren Kopf schüttelten, ablehnten..mir nicht trauten. Sie alle sind klüger als ich..nein?
Während ich mir darüber klar werde, beginnt mein Gesicht zu brennen. Der Schmerz kocht hoch und macht mich lebend. Fast glaube ich mein Herz schlagen zu hören. Das und meine eben erlangte Erkenntnis entringen mir ein ungläubiges Kichern. Ich bin ein dummes kleines Kind. Was würde wohl der Maler sagen?
Langsam hebe ich meinen Kopf und betrachte den Mann. Um seinen Hals hängt eine große silberne Kette die die Buchstabe C H A M P einfasst. Er steht nicht weit weg, aber ich gönne mir die Sekunde und betrachte ihn und seine Farben, krieche unter seine Haut um zu erkennen, was ihn erfüllt….Erregung…Wut…Gier….Macht?….viel…Unsicherheit….Einsamkeit…Angst. Er blättert sich vor meinen Augen in seine Nuancen auf. Da und dort, wirkt sein Bild stumpf, als wären Dinge an ihm Tod. Wie ich..blass…
Er beugt sich nach unten um nach mir zu greifen…
Meine Stimme ist ganz leise, fast als tät ich nur mit mir selbst reden.
"….ich les dich…du hast was totes an dir….du…du hast Angst….und…und wenn ich………ich mehr Angst hab als du……dann macht dich das stark..nein?" Ich sehe ihm in die Augen um zu überprüfen, ob ich sein Muster richtig….übersetzte…richtig…verstehe.
Ein kleines Zucken nur – in seinem linken Auge – schenkt mir 100 Gewinnerpunkte und ich muss wieder verhalten kichern.
Das Lachen würde mir schon vergehen….Worte die aus seinem Mund fallen, während ich fasziniert beobachte, wie seine Angst und damit auch seine Wut auflodert. Er wälzt seinen massigen Körper über mich und ich schlinge meine Arme um ihn, wie eine Mutter die ihr Kind empfängt. Während er…weiß der Teufel was zu tun versucht, vergrabe ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge und meine Fänge unter seine Haut.
Dann ist es friedlich.
Ich trinke ihn, die Umstände schmecken mir nicht, aber Blut ist Blut und Blut ist gut. Ich nehme genug, um zu wissen, dass er nicht aufspringen wird um mich am gehen zu hindern…und lasse ihm genug…um zu überleben.
Nicht, weil der Maler mir sagte, ich müsse dafür sorge tragen, wenn ich töte, dass die Leiche verschwindet. Auch nicht, weil ich so ein gutes Herz habe. Tod…ist keine Strafe. Tod ist eine Erlösung. Und ihn….will ich nicht erlösen. Der Champ hat sein Leben verdient. Finde ich.
Später, nachdem ich den Champ und seine Wohnung verlassen habe, gehe ich nachdenklich von der Ubahn, durch den Wavehill Park Richtung Heimat?………nein..nur Richtung meiner Wohnung.
Wenn es jedesmal so ein Akt ist etwas zu Essen zu bekommen, kann ich mich bald eingraben lassen. Quasi, im wahrsten Sinne der Worte.
Mir fällt eine Gestalt auf, die im Windschatten einiger Bäume liegt und wohl schläft, aber da ich so mit Denken beschäftigt bin laufe ich an ihr vorbei. Erst, als ich 10 Minuten Fussweg weiter, wieder jemanden sehe…diesmal auf einer Parkbank…werde ich neugierig.
Ich sehe mich um. Bis auf mich….niemand weit und breit hier. Um sicherzugehen…entfessel ich meine Beschränkungen und gestatte mir….mehr…zu hören….
Das Atmen des Mannes auf der Bank wird ungeheurlich laut. Getier dass umherkreucht. Straßenlärm von weiter weg. Ja. Diese Stadt lebt, auch in der Nacht. Aber Schritte?…Keine.
Meine Güte. Ich ärgere mich mit dem Champ herum und hier….liegt….das Essen sozusagen auf der Straße. Is ja echt Irre.
DAS werde ich nicht vergessen.
Aber um die Hauptversorgung zu sichern, werde ich vielleicht doch, die Lebensmitteltüten Theorie ein wenig Praxis gerechter umarbeiten. Vielleicht mit einer kleinen Anzeige in der Zeitung.
"Erledige für sie ihre Einkäufe!" oder. "Suchen sie unterstützung im Haushalt?" Oder etwas in der Art.
Bis ich daheim angekommen bin, habe ich viele Pläne geschmiedet. Wie ich mein Essen organisieren könnte, wie ich ein paar Tote finden könnte…und…ob ich…dem Champ vielleicht helfen sollte ein besserer Mensch zu werden…..

 

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