Sex

18.10.2002 
 
Raus aus meinem Haus.
Rein ins Auto.
Tür zu.
Zigarette an.
Stille.

Hab mich Heute Morgen ins Bett gelegt und bin mit demselben Gefühl wieder aufgewacht. Ich kann nicht mehr! Luft…ich brauche Luft zum Atmen. Eine Verschnaufpause. Irgendwas. Diese kleine Gespräch mit Georg gestern. So, an und für sich simpel wie es war. Hat mir gezeigt, wie labil ich bin. Ich halt es nicht mehr aus. Ich muss raus!
Mein Leben ist so daneben.
( Das reimt sich und was sich reimt ist gut….oder?)
Das Fenster meines Wagens lasse ich hinab.
Freiheit.
Die Luft draußen ist schon wieder kühl. Leicht zu fühlen, wie warm der eigene Körper ist. Noch. Ich genieße es inständig. Carpe noctem, hab ich meine Tage, doch schon hinter mir gelassen…irgendwie. Ich schlucke leicht, starte den Motor und wähle aus meinem CD Angebot Marilyn Manson. Wundervoll krank. Die Musik kriecht in mein Gehirn. Der Rauch kriecht in meine Lunge, ich krieche aus mir raus und nehme mich so klar wahr wie nur selten. Anspannung, mein Kopf fühlt sich an, als würde er jede Sekunde platzen.  Kaum dass ich mit meinem Auto auf der Schnellstraße bin gebe ich Gas, ohne Rücksicht auf Verluste. Entweder ich komm gesund an oder nicht. Adrenalin in meinem Blut. Mein Puls der ansteigt, die Angst, dass mir etwas passieren könnte bei meinem rasanten Fahrstil tritt in den Hintergrund und leise etwas anderes hervor, dass alles – von einem anderen Standpunkt betrachtet. Noch schneller. Ich MUSS heute tanzen gehen.

Mein Haar ist nass. Mein Herz schlägt 130 mal die Minute. Ich nehme meine Muskulatur in jedem kleinen Detail wahr, so empfinde ich es. Die wenige Male, in denen ich meine Augen öffne um mich umzublicken sehe ich nicht viel. Egal. Dieser Rausch ist schöner als alles andere. Nichts in meinem Leben macht mich so verlässlich glücklich wie tanzen.
Heute träume ich nicht.
Heute leben ich.
Doch anstatt, wie sonst wenn ich tanze, mich auszupowern, fühle ich mich mit jeder Sekunde, mit jedem Lied noch genauer gezeichnet. Als würde ich an Substanz gewinnen. Die Lieder kenn' ich nicht alle. Sie sind laut und heftig, dass reicht. Dann ein Cut. Stille. Und, als ob ich es gewusst hätte, bleibt mein Körper stehen. Ich atme wie in Zeitlupe. Sauerstoff für mein Blut. Leben. Eine kleine elektrische Spannung, die über meine verschwitze Haut kriecht, dieses Gefühl, in meinem Rücken, an der Stelle zwischen den Schulterblättern. Dort wo der Drache wacht. Jemand betrachtet mich. Nicht nur. Er verschlingt mich mit Blicken, bohrt sich durch die Oberfläche meines Seins und wühlt sich in mein Inneres. Ein Lächeln auf meinen Lippen, ich fühle mich… von einer eigenartigen Macht erfasst – eine Macht die ICH ausübe. Ich!
Ich weiß, dass er mich betrachtet, ich konnte so was schon immer wahrnehmen. Der künstliche Nebel fällt über mich hinweg zu Boden und im selben Atemzug wende ich in aller Ruhe meinen Kopf, um ihn zu ertappen. Das einsetzende Stroboskoplicht nimmt mir die Sicht….irgendwie..und dennoch sehe ich..was ich sehen will…muss.
Was eigentlich?
Dieser Mann, der dort an der Wand lehnt. Sein Kopf leicht gesenkt, aber er sieht mich an.
Als mein Blick den seinen trifft beginnt die Musik zu spielen. Eine leise lauernde Melodie, die langsam lauter wird. So anders. Der Nebel, der gerade noch am Boden waberte scheint an mir herauf zu krabbeln, als würde er mich streicheln und berühren. Mein Körper beginnt wieder zu tanzen. Ich lenke ihn zwar, aber bin nicht mehr in ihm. Irgendwie. Mir wird bewusst, dass ich den Mann noch immer ansehen. Und er noch immer mich. Ich kann gar nicht erklären, wie er aussieht. Aber wenn es in meinem Kopf jemals eine Vorstellung von dem perfektem Mann gab, dann sah sie so aus wie dieser Mensch. Sogar in dem Moment, in dem ich darüber nachdenke, wie ich ihn beschreiben könnte, fehlen mir die Worte, als wäre er unscharf gemalt, nicht so wie ich. Keine klaren Linien. Die Musik übermannt mich. Ich kann nicht anders… Ich schließe meine Augen und lasse mich aufsaugen in das Gedankenlose Sein des Tanzens. Dennoch besteht zwischen ihm und mir was. Ein Band.
Wie bei Katinka…und ganz anders.
Meine Augen? Geöffnet noch bevor ich mich wendete, um ihn bewusst wahrzunehmen. Aber die Art und Weise wie er mich betrachtet stört mich nicht. Sie ist nicht ekelhaft oder anbiedernd. Er scheint meinen Körper nur Sekundär wahr zunehmen. Als wäre das, was ihn wirklich interessiert, in mir. Der Gedanke, dass er mich erregend finden könnte lässt meinen Bauch sich winden. Ein seltsames Kribbeln…
Vergiss Schmetterlinge…Spinnenbeine… 666 Stück!
Meine Knie werden weich. DAS ist mir neu. Obwohl das Lied sehr langsam und gefühlvoll ist, will mein Puls nicht sinken. Noch immer ruhen seine Augen auf mir. Ohne nachzusehen weiß ich dass. Die Härchen auf meinem Körper richten sich auf, als stünde die Luft unter Strom und als ich ein weiteres Mal meine Blick hebe, weiß ich auch warum. Er kommt zu mir. Seine Gedanken, sein Inneres liegt  klar vor mir. Oder? Wie meine eigenen Gedanken. Mein eigenes Innerstes. Er will mich. Keine Fragen. Keine Diskussionen. Und zum ersten Mal in meinem Leben, nehme ich in mir ein Glühen wahr, dass mir klar macht, dass ich mit ihm gehen werde – gehen will.
Ich habe meine Jungfräulichkeit nie für einen besonderen Zweck oder besonderen Menschen bewahrt. Es gab nur einfach nie einen Mann, der in mir das Bedürfnis geweckt hätte, mich zu geben. Die wenigen Male, in denen ich ansatzweise in Situationen geriet, in der ich die Gelegenheit gehabt hätte,  mit einem Mann zu schlafen, habe ich mich nur gefragt. Ist es wirklich dass was du willst? Und jedesmal war die Antwort  – Nein. Nicht mehr und nicht weniger.
Seine Hand berührt mein Gesicht. Sie ist ein wenig kühler als meine Haut, aber nur kurz, dann kann ich nicht mehr unterscheiden, wo meine Lippen enden und seine Finger beginnen.
Der Tanz geht weiter. Wie in Trance. Nur ohne das ich mich dabei viel bewege. Es tanzt in mir.  Mein Kopf kippt wie von selbst nach hinten, und bietet ihm Gelegenheit über mein Kinn hinab, sacht über meinen Hals zu streicheln. Es tut so ungemein gut! Was diese kaum wahrnehmbare Berührung mit mir anstellt ist nicht zu fassen. Er lässt mich zittern und gleichzeitig entspanne ich mich. Ein Gefühl wie Alkohol und Kühlschrank zusammen. Seine Finger, sind lang und schmal. Jeder scheint für sich ein eigenes Leben zu besitzen und sie erzählen mir..meiner Haut…Geschichten.. Von sich, die mich lähmen – bezaubern.
Schmeckt nach mehr.
Seine Hand gleitet in mein Haar, greift sich fest und zwingt mich sanft ihn wieder anzusehen.
    “Komm mit!” Ist alles was er sagt.
Seine Worte, so unwirklich wie sein Anblick. Doch der Klang seiner Stimme pflanzt sich über meine Aura hinweg, wie die Wellen über Wassers ziehen…
Ins Wasser fällt ein Stein.
Ich LEBE!
Er wartet eine Zustimmung nicht ab, muss er auch nicht. Mir ist klar, dass er sich darüber bewusst ist, dass er mich kriegt, egal was seine Gründe sein mögen. Es tut nichts zur Sache.
I will follow him….
Ich will!!
Wo ich bin? Ich weiß nicht – bei ihm. Ein Hotelzimmer? Oder sind wir nicht doch in ein Haus gegangen?. Wir sind noch in München, dass vermute ich zumindest. Auf der Fahrt in SEINEM Auto – und ich hörte noch irgendwo die mahnende Stimme meines Onkels: “ Steige niemals zu Fremden ins Auto!” – ist alles was mich interessiert er. Seinen Namen hat er mir genannt, glaube ich. Aber auch dass ist mir, in Anbetracht der Situation, entfallen. Dieses, mir neue Gefühl, erfordert meine gesamte Aufmerksamkeit. Ich genieße es. Gier in mir. Begierde. Brennendes Verlangen, ich denke so muss ein Süchtiger empfinden, der auf Entzug war und nun dass, was er braucht, zum greifen nah sieht. Wir reden auch – irgendwie. Doch die Dinge die ich sage, sind so beiläufig, wie der Text eines Statisten. Das was wir nicht aussprechen ist wesentlich intensiver. Ein dunkler Raum. Eine schwarze Ledercouch, mit weißen Kissen.Ein Tisch mit einer Bordeauxroten Decke. Irgendwo ein Bett. Diverse Kerzenständer und ich frage mich nicht mal, warum die Kerzen schon brennen, als wir eintreten. Auch nicht warum dort Wein und ein Glas bereit steht. Er umschmeichelt mich, umgarnt meine Sinne, als wüsste er in jeder Sekunde was ich mir wünsche, und als wüsste er auch die Dinge, die ich nicht mal wagen würde mir zu wünschen. Ich habe keine Einwände als er mich von meiner Kleidung befreit und meinen nackten Körper im Kerzenschein betrachtet. Ich schäme mich nicht. Alles scheint mir so vertraut als müsste es genau so sein und nicht anders. Hat er mich überhaupt geküsst?
Ist das wichtig?
Seine Augen sind so…..wahnsinnig…so…zum eintauchen….untergehen…ertrinken…

(….ich sehe mich halb liegend auf der Couch, in der einen Hand das Weinglas, in der anderen eine Zigarette. Sein Kopf zwischen meinen Schenkeln und dieser Teufel weiß was er tut, so gut wie ich selbst – besser. Unfähig jeglichen Gedanken zu denken. Das Nikotin zieht durch meine Lungen hinein ins Blut und vermischt sich dort mit dem Alkohol.  Als ich zu ihm kriechen will, um mich zu revanchieren, um ihm gutes zu tun, weist er mich von sich und besänftig mich mit noch mehr Wahnsinn. Ich fühle seine Zunge, an mir, in mir . Mein Gott. Noch nie in meinem Leben war ich derart feucht  ….)

(…Seine Fingernägel auf meinem Rücken, sie graben sich durch meine Haut, ziehen blutige Striemen. Über die er genussvoll drüber leckt. Nie hätte ich geahnt, das Schmerz so …ansprechend… sein könnte. Sein Geschlecht an meinem Po. Ich will ihn anflehen mich endlich zu nehmen. Stattdessen nimmt er mir die Worte, in dem er sich am mich schmiegt, von hinten herum meinen Busen liebkost. Ich blicke an mir runter und sehe, wie sich seine Hände auf meiner Haut ein Sonett spielen. War nicht alles Wahnsinn? Ich lache.  Der Anblick und gleichzeitig das Gefühl treiben einen Keil in meine Wahrnehmung und ich verliere die wirkliche Welt vollkommen…)

(…Meine Augen verbunden und obwohl ich ohnehin nicht mehr normal sehen konnte stellt sich eine zusätzliche Unruhe ein. Ein Gift. Vergiftet. Ungezielte Berührungen, als wollte er mich necken. Mal zärtlich. Mal schmerzhaft. Er spielt sich, aber das ist mir nicht mehr bewusst. Die Zeit verloren, wie lange quält er mich jetzt schon damit mir nicht alles zu geben? Hör nicht auf…..)

(…Stille. Ich höre ihn nicht. Die Augenbinde ist weg , aber der Raum ist jetzt dunkel. Ich sehe ihn nicht.  Ich sitze auf einem Stuhl meine Hände rücklings an die Lehne fixiert. Irgendwann beginne ich zu frieren. Hat er mich vergessen. Lässt er mich SO hier sitzen? Er lässt mich lange genug so – bis ich beginne wütend zu werden. Was bildet der sich ein?Ich knurre und winde mich und da aus dem Nichts taucht er auf, wie ein Tier das auf der Lauer war. Oder ein Gott?  Er spreizt fast mit Gewalt meine Schenkel und zwingt sich in mich…und mehr.)

(…Schrecken. Adrenalin. Zerreißen. Erfüllung. Bewegung. Tilt…)

Wie lange?
Ich weiß es nicht.
Es ist Hell draußen. Es ist Tag..nicht schon wieder Abends.
Ich erwache in diesem ungemein bequemen Bett und nichts quält mich.
Alles an und in mir tut mir weh. Jeder Muskel, jedes bisschen Haut – und es ist wundervoll. Ich fühle mich glücklich. Unbeschreiblich. Ich muss mich nicht umsehen, um zu wissen, dass er nicht mehr da ist. Ich merke es. Aber es hinterlässt keinen faden Nachgeschmack auf meiner Zunge.
Was auch immer er getan hat. Jetzt bin ich glücklich. Mehr zählt nicht.
Beiläufig fällt mir auf, dass der Raum ein wenig anders scheint als heute Nacht.
Mir ist ein wenig schwindelig.
Hab kaum geschlafen. Ein schmunzeln liegt auf meinen Lippen. So normal kann Leben sein.
Wundervoll.
Ich könnte mehr davon haben.
Will ich mehr?
(Henkersmahlzeit?)
Aber diese Gedanken können mich nicht beirren. Es ist gut so.
Ich kleide mich an verlasse das…ein Haus, es ist ein Haus und davor parkt mein Auto. Nun wundere ich mich doch. Doch da niemand da ist, dem ich Fragen stellen könnte, nehme ich es hin. Es spart mir immerhin das Taxi zurück zum Turm, wo ich es zurückließ.
Die Fahrt nach Hause lasse ich gemächlich angehen. Mein Leben scheint mir auf einmal völlig relaxed und klar. Keine Ohmächtigkeiten.
Kaltes klares Wasser.
Und die Sonne scheint. Wärmt mich. Wie wunderschön! Sonnenstrahlen.
    “Du solltest das noch hinter dich bringen bevor….” Erinnere ich mich an Katinkas Worte und lächle leicht. Bald ein Jahr her. Sie hatte recht damit. Sehr recht. Zufriedenheit… Oder nein Befriedigung! Ich fühle mich zu ungeheuerlich weiblich. So schön. Wie eine Göttin. Ich habe neue Kraft um mich dem Wahnsinn zu stellen, mit dem ich lebe.
(Mit dem du sterben wirst.)
 Das tut so gut.
Ein Schrecken erwischt mich noch bevor ich die Haustüre aufschließe. Zum Teufel, er muss mir wirklich die Sinne vernebelt haben. Keine Sekunde dachte ich an Verhütung oder gar Krankheiten. Nicht mitzudenken ist eigentlich…keins meiner primären Attribute.
Auch so bekommt man Adrenalin ins Blut. Aber meine Tage stellen sich noch am selben Nachmittag ein…perfekt. Und was die Krankheiten angeht…. Sollte ich mich fürchten daran sterben zu können?

…Als ich schlafen gehe erinnere ich mich an Worte die gesprochen wurden. Von wem weiß ich nicht, aber das Wiedererkennen,  machen mir eine Gänsehaut:
    Früher oder später, grinst das Tier, gehörst du mir…

((Öffne Dich, mein Herz, mein Liebster
Deine Seele will ich rauben
Dich besitzen, Dich erfüllen,
Dein ganzes Sein in mich aufsaugen
Lass Dich fallen, mein Herz, mein Liebster
Dein ganzer Körper soll erbeben
Dein Atem stocken, Dein Herz stillstehen,
die Qual, den Tod zugleich erleben
Schließ die Augen, mein Herz, mein Liebster
fürchte nicht was jetzt geschieht
Es wird schön, unendlich seltsam
weil sich’s dieser Welt entzieht))

((Öffne Dich
Lass Dich fallen
Schließ’ die Augen, vertraue mir
in meiner Welt, da bist Du alles
in meiner Welt gehörst Du mir
Meine Sehnsucht, meine Gier
all mein  Denken ist bei  Dir
Du bist da wir sind allein
und vergessen zwei zu sein.))

((Ich sehne mich, mein Herz, mein Liebster
fast schon schmerzhaft, in mir drin
was Du mit meinem Körper machst
grenzt an Irrheit, grenzt an  Wahnsinn
Ich denk an Dich, mein Herz, mein Liebster
Ich zehre mich nach Deiner Haut
mich giert’s nach deinem ganzen Wesen
Deine Nähe
und Dein Lächeln scheinen mir seit je vertraut))

((Ich sehne mich
Ich denk an Dich
Mach das auch, vertraue mir
in meiner Welt gehör’ ich Dir
Meine Sehnsucht, meine Gier
all mein Wollen ist bei Dir
Du bist bei mir wir sind allein
und beginnen eins zu sein))

((Verlieb und gib was Du auch hast und bist, verpasst ist eine Chance schnell,
so hell ein Tag auch scheinen mag, verzag es könnt der letzte sein, alleine dies
ist Grund genug um es zu wagen… Ohne Zögern…ohne Fragen.))

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