Alternative Realität

Ich sitze im Wintergarten, die Beine bequem auf einem Stuhl abgelegt. Meine Waffe auf dem Schoß und sehe durch das Glas ins Dunkle hinaus.

Meine Gedanken?

Vor nicht allzulanger Zeit hat mir Herr Vomisa erzählt, dass ein Teil der Gruppe gehen wird. Sie werden ein Loch in die Biosphäre sprengen und einfach gehen. Wenn es nach mir ginge wäre ich dabei. Dieses ganze Szenario ist einfach zu krank, ich weiß nicht warum ich mich darauf eingelassen habe. Für den Job? Na ich würde ich ihn schon nehmen, aber eigentlich bin ich nicht darum hier. Eigentlich habe ich meinen Auftrag und ich erfülle sie immer, meine Aufträge. Egal ob es mir gefällt oder nicht. Berufsethos, wenn man so will.

Der dritte Tag und ich habe immernoch keine Ahnung, wer mein Zielobjekt ist – es ist blamabel – einerseits. Andererseits hat sich meine Motivation durchaus geändert, ich bin der festen Überzeugung, dass dieses System das uns hier umgibt, dafür ausgelegt ist um uns zu töten. Und ich lasse mich nicht gerne töten.

Warum also, sitzte ich noch immer hier und starre in die Dunkelheit?

[i] Weil du nicht ruhst ehe du getan hast, wozu du hier bist..nein?[/i]

Schritte nähern sich. Draussen huschen weiße und rote Schatten durchs schwarz…[i] die Gruppe die geht…[/i]…mein Blick defocusiert und legt sich auf die matte Spiegelung in den Fensterscheiben. Patrick..Herr Vomisa..whatever..seine Schritte sind es die ich höre. Ich lächel schief – wollte er nicht ?

„Da gehen sie…“ erzähle ich ihm, als er bei mir angekommen ist. Er nickt und tut es mir gleich – hinaus blickend. Während ich ihn über das spiegeln hinweg betrachte bemerke ich, dass er hier steht anstatt mit den Anderen zu gehen. Verwirrung.

„Warum bist du noch hier?“ frage ich und bin tatsächlich neugierig.

„Das ist ein lange Geschichte…“antwortet er und ich muss lächeln, ob dem Ton in seiner Stimme.

„Ich mag lange Geschichten…“

Ich sehe es nicht genau, aber ich glaube er lächelt, Er findet seinen Platz hinter mir, ans Glas gelehnt. Ausserhalb meines Blickfeldes. Es macht nichts, genug bezug über seine Stimme – sie ist angenehm ruhig und dunkel. Gefällt mir.

Er erzählt mir von sich…seinen Kindern….seinem Auftrag, wer er war und warum er hier ist. Das er das Managment erpresst – erfolgreich und dass alles nur dafür das seine Kinder überleben. Ich wünschte es hätte jemals in meinem Leben etwas gegeben, für das ich so gelebt hätte. Er hofft, dass Dr. Graf, seine Kinder versorgt – auch wenn er selbst hier vielleicht nicht mehr rauskommt.

Vielleicht.

Für einen Augenblick wird mir schwer ums Herz – ich wünschte er hätte mir nichts erzählt.

Meine Stimme klingt leiser als vorher, ich wende mich etwas in seine Richtung ohne mich wirklich umzudrehen.

„Wenn deine Kinder versorgt werden, dann würdest du dafür dein Leben geben?“

Wieder nickt er und versetzt mir einen Stich. Ich könnte ihn mögen.

Ich schnaube und sein fragender Blick liegt auf mir. Das fühle ich.

„Warum bist du noch hier?“ ist es nun an ihm zu fragen. Ich…..ich wünschte wirklich er hätte es nicht getan.

„Wegen dir..“antworte ich gehorsam, mein Kopf kippt seitlich in den Nacken und ich sehe ihn von schräg vorne an. Die Fragezeichen in seinem Gesicht sind schwer zu übersehen. Ein wahres Mienenspiel, von aufsteigender Erkenntnis bis zu völliger Ratlosigkeit.

„Will ich mehr wissen?“ flüstert er leise und seine Stimme macht mir ein kribbeln im Bauch.

Zur Antwort schüttel ich nur den Kopf. Seine Augen schließen sich für einen Augenblick, er sieht schön aus, wie er da so sitzt. Ein hübscher Mann. Zu Schade.

Ich setzte mich auf, lasse die Waffe zu Boden gleiten – sie ist jetzt überflüssig. Ob dem Geräusch öffnen sich seine Augenlider wieder und sucht meinen Blick – ich lächel schmerzlich und strecke ihm einen Hand hin. Er betrachtet sie, als ahnte er was geschehen würde. Ein kleines Nicken von ihm. Warum auch immer. Dann lässt auch er seine Waffe zurück, als er sich erhebt. Ebenso wie ich es tu.

Einen Moment später hat er meine Hand ergriffen und folgt mir das letzte Stück zurück in das letzte Eck des Wintergartens, hinter einem kleinen Baum. Unglaublich was hier alles wächst. Beobachtete uns jemand, vermutete er wohl, wir zögen uns für ein Schäferstündchen zurück …doch….das trifft es nicht so ganz. Seine Hand ist ganz warm – ich mag das Gefühl. Wieder das Ziehen in meiner Brust. Kann ich nicht einmal…einmal ablassen?

Für eine Sekunde verstärkt sich sein Griff, reisst mich damit aus meinen Gedanken, ich wende mich zu ihm um – er ist ein Stück größer als ich und ich muss hochblicken. [i] Alles für seine Kinder?[/i]

Er erwidert den Blick, ich mag seine dunklen Augen.

„Was jetzt?“ seine Stimme so leise, dass ich ihn fast nicht verstehen kann – ich würde sie gern öfter hören. Ich lege meinen Zeigefinger auf seine Lippen.

„Mach dir keine Sorgen…“ mein Finger löst sich wieder und ich streiche ihm einmal übers Haar, es damit zurück, auf das meine Hand in seinem Nacken zur Ruhe kommt. „..Victor..“

Es dauert ungefähr 2 sekunden bis etwas, das der Körper wahrnimmt bis zum Gehirn getragen wird.

In diesen 2 Sekunden strecke ich mich um etwas zu machen, das ich schon lange nicht mehr tat. Jemanden küssen. Ihn..küssen.

Je nach ablenkungsfaktor benötigt das Gehirn ca weitere 8 – 10 Sekunden um eine bekommene Information zu verstehen und zu bearbeiten. In dieser zeit löse ich meine Hand von seiner, und lasse einen kleinen Dolch aus meinem Ärmel zwischen meine Finger gleiten. Ich fühle wie sein Herzschlag rapide ansteigt und ein Teil von mir wünscht sich, es wäre ob meiner Nähe. Wahrscheinlicher aber ist, dass er beginnt zu verstehen.

Je nach Wichtigkeit der Information, kann nach dem erkennen und verstehen eine Reaktion sehr schnell von statten gehen. Ich spüre ein Rucken in seinem Körper, wie er seinen Mund im ersten Protest öffnet ..ich nutze die Gelegenheit um mich in ihn zu schieben. Auf zweifacher weise. Einmal meine Zunge die seinen Weg zwischen seine Lippen findet, zum anderen die Klinge meines Dolches die sich von seitlich hinten durch den Stoff seines Anzuges, durch seine Haut, in sein Fleisch, seine Nieren drängt. Es gibt 263 Stellen am Körper eines Menschen, welche bei einem Stich den unmittelbaren Tod zur Folge haben. Ich kenne sie alle.

Er schaudert, seine Muskeln krampfen unwillkürlich und im selben Zug, zieht es mich näher zu ihm. Es hätte soviele Gelegenheiten geben können, dieses Leib erschaudern zu lassen. Warum diese?

Die Kraft fließt aus seinem Körper, jetzt bin ich es der ihn hält. Es dauert nicht lange, dann wird die Erwiderung meines Kusses schlaff. Wir gehen zu Boden und ich löse mich von ihm. Setzte mich neben ihm und vergrabe meine Hand in seinem Haar.

„Es tut mir leid Victor…“ erzähle ich ihm leise. „Du….du warst tatsächlich der letzte Memorator…ich weiß dass….“

Ich schweige und blick kurz durch das Glas nach draussen. Das Ende hier, wird nicht mehr lange auf sich warten lassen? Dann sehe ich diesen Mann neben mir wieder an.

„…ich weiß es, weil ich es war, der sie alle liquiderte.“

Ich beuge mich zu ihm, küsse seine Stirn und erhebe mich.

Noch nie empfand ich Reue nach einem Auftrag.

In dieser Nacht bin ich unsicher.

Ich werde Sorge dafür tragen, das seine Kinder überleben.

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