01.Eva bis zum Tod

Meine Welt ist….anders. In meinen Augen. Und der eigene Blickwinkel ist dass, was zählt, nicht wahr?
Das Licht dieser Welt – wie man so schön sagt – erblickte ich zur Wintersonnwende.[21.Dezember.1955] Ein magisches Datum, sagte meine Mutter gerne. Sie hatte ´nen kleinen Tick. Helena , so hieß sie, ist übrigens tod. Alle Mütter tun das irgendwann….sterben. Der Krebs hat sie aufgefressen, sagten die Ärzte. Das stimmt sogar irgendwie. Die Bilder ihrer CTs folgten mir durch meine ganze Kindheit und die bösartigen Geschwüre wurden immer mehr und meine Mutter ….immer weniger. So ist das, wenn man Krebs hat. Jetzt liegt sie schon bald 40 Jahre unter der Erde. Im Dunklen. Im feuchten Grab. Ich besuchte sie oft und erzählte ihr von meinem Tag. Es ist sehr praktisch mit toten Menschen zu reden. Die wiedersprechen nicht so oft. Manchmal bin ich auch traurig, wünschte ich mir doch, sie würde mich in den Arm nehmen und halten. Mein Vater ist da nicht so der Typ für. Ich wurde übrigens in Glastonbury geborgen, oder eher auf? Obwohl ich Deutsche bin. Wie erwähnt hatte meine Mutter einen Tick. Sie VERGÖTTERTE Irland.Es ist ein magischer Ort, sagte sie. Sie wollte mich Morgaine nennen, aber mein Vater hatte da was dagegen.. Wer seinem Kind so ´nen Namen geben würd, der muss ´nen Knall haben.

Wir lebten lange Zeit in München. München ist eine Stadt für Snobs. Snobs find ich dumm. Sie tun, als wüssten sie alles und dürften alles. Aber ich glaub, sie würden allesamt auf einmal schreiend zusammenbrechen, wären sie auch nur einmal genötigt über ihrer Suppentellerrand zu blicken. Egal.
Mein Vater, Robert Denk, ist Geschäftsmann. Irgendein höheres Tier in einem Bestattungsunternehmen. Die heissen auch Denk. Er macht sein Geschäft mit dem Tod. Lustig, oder? Er hat auch seine Frau zu Grabe getragen. In aller Professionalität. Ohne Tränen. Ich glaube, er kann nicht weinen. Oder vielleicht tut er auch nur so. Männer sind seltsam manchmal….sagen manche Frauen.
In München ging ich ne Weile auf eine ganz normal Grundschule, aber weil mich meine Mitschüler so oft getriezt haben, hab ich schließlich ´nen Privatlehrer bekommen. Ganz für mich! Ich fand das triezen nicht so schlimm, aber meine Mutter meinte immer, es wäre nicht recht, dass mich die Jungs an den Haaren zogen oder mir blaue Flecken zwickten. Mir hat’s nicht so weh getan.
Meine Welt IST anders. Ich kann Schmerz, nicht so wahrnehmen wie andere, zumindest körperlichen nicht. In meinem Kopf sind ein paar Sachen falsch verschaltet. Wie bei einem falsch programmierten Computer.
Mein Vater sagt, das käme davon, weil ich zuviel von meiner Mutter geerbt hätte.
Meine Mutter sagte, das käme davon, weil ich ein magisches Kind sei.
Nicht wie andere.
Im Lernen war ich gut, ich kann mir viele, viele Dinge merken ohne viel zu tun. Mein Lehrer, Herr Kreisel, war sehr stolz auf mich. Darum hat’s ihn auch nicht gestört, wenn ich manchmal einfach aufgestanden bin, um zu gehen. Weil es draußen regnete oder so. Ich mag Regen. Regen fühlt sich so lebendig an. Das ist wichtig, weil es in meinem Leben viel Tod gibt.
Ich bin ein kleiner Todesengel. Als ich mich mal verliebt hab, da war ich 11. Er hieß Karsten und hatte die wundervollsten blonden Haare, die man sich nur irgendwie vorstellen kann. Und leuchtende Blaue Augen. Jedenfalls hab ich mich mit ihm verabredet. Wir waren spazieren und Eis essen, es war sehr romantisch. Einen Tag später hat ihn ein Auto tot gefahren. Bums. Vorbei.
Das Unternehmen Denk hat auch ihn bestattet. Naheliegenderweise.
Es ist schon beinah absurd. Nicht wahr?
So ist das, wenn man auf seine Kinder nicht aufpasst, sagte mein Lehrer.
Ich will gar nicht behaupten, dass ich mir eingeredet habe, meinen Mitmenschen den Tod zu bringen. Aber, ganz ehrlich, so manchmal kommt es einem schon komisch vor.
Als meine Mutter starb ,da war ich 15….das prägt schonmal…auf jeden Fall wurde mein Vater ein noch viel besserer Geschäftsmann, er arbeitete noch viel härter als früher. Dadurch hatte ich ziemlich viel Zeit für mich. Störte mich nicht. Mir ist selten langweilig, weil es immer Dinge zu tun gibt. Auch wenn man allein ist. Man kann schöne Sachen ansehen. Oder Musik hören. Oder malen oder schreiben. Oder tanzen. Ich tanze wahnsinnig gern. Manchmal ganz ohne mich zu bewegen nur in meinem Kopf. Dann verschwindet die Welt um mich herum und ich bin wirklich etwas besonderes.

Freunde hatte ich nicht so viele. Ich ging ja nicht zur Schule und meine Mutter passte immer sehr auf, dass mir keine bösen Leute begegneten und dann kam ja noch hinzu, dass ich Menschen den Tod bring. Das macht’s einem schon mal schwer jemanden zu mögen. Darum hatte ich auch keinen Mann. Auch nicht als ich älter wurde. Aus lauter Trotz hab ich mich in den Herrn Kreisel verliebt. Kurz nach meinem Abschluß, sowas wie ne mittlere Reife und ….. Etwa ein Jahr, nach dem Tod meiner Mutter, hat er sich umgebracht. Sich mit so einer Sportwaffe den Kopf weggeblasen. So ist das, sagte mein Vater, wenn man seine Finger in Angelegenheiten steckt, die einem nichts angehen. Hab ich nicht verstanden.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, zwischen dem Tod meiner Mutter und Herrn Kreisels Selbstmord gibt es einen Zusammenhang. Vielleicht war das auch der Grund, warum Helena und mein Vater nicht so wahnsinnig viel Zeit miteinander verbracht haben. Vielleicht ist es aber auch einfach nur passiert, weil ich da bin.
In meinem 18. Lebensjahr begannen meine Kopfschmerzen. Migräne, sagte die Ärztin und gab mir ein Mittel dagegen. Manchmal half es, manchmal nicht. Kopfschmerzen können sehr faszinierend sein. Wenn es so arg sticht, dass du nicht mal wagst, deinen eigenen Namen zu denken, verschiebt sich die Wahrnehmung, die Welt…alles. Die Schmerzen mochte ich nicht, aber dass, was sie mir eröffneten, das fand ich toll.
Zwei Jahre später, begann die schönste Zeit meines Lebens. Mein Vater hatte mich zu einigen Ärzten gebracht wegen der Migräne. Und einmal durfte ich auch in so eine Röhre, so eine, wie die, in denen meinen Mutter immer gelegen hatte zum fotografieren. Nein. Tomographie. Meine Bilder durfte ich nicht sehen. Aber mein Vater schenkte mir eine EIGENE! Kreditkarte und sagte, ich solle mir die Welt ansehen und mir eine schöne Zeit machen.
Hab ich auch.
Im ersten Jahr besuchte ich Island und hab mir die heißen Quellen angeguckt und darin gebadet.
Und ich war in Griechenland, hab die Akropolis gebührend bestaunt. Im zweiten Jahr, hab ich mich über die Franzosen geärgert und war dennoch hingerissen, von diesem Berg bei Paris, wo die ganzen Künstler malen. Mon Matre? Keine Ahnung wie man den schreibt, aber dort fühlte sich die Welt ganz wundervoll frei an. Ich wanderte durch Wien….sprang zwischen Buddha und Pest hin und her.
Im dritten Jahr, versteckte ich mich in einer Kathedrale bei Prag, die mit Knochen überfüllt war. Und ich warf in Ostfriesland Schlamm auf andere Leute. Aber nur einmal. Im vierten Jahr………. War ich auf Hvar. Einer Insel in Jugoslawien. Dort blieb ich lange. Wie das Dorf heißt, weiß ich nimmer, aber das Kloster dort in den Bergen, zu dem es nur eine Stunde Fußweg brauchte. DAS war….magisch. Da hab ich meine Mutter endlich verstanden. Hab dort viel nachgedacht. Viele Dinge verstanden.
Auch warum mir mein Vater die Kreditkarte geschenkt hatte.
Dort hab ich auch den Tod gesehen. Eines Nachts.
Es war ein Mann, dessen Gesichtszüge so fein waren, wie die einer Frau. Oder vielleicht war es auch eine Frau, deren Stimme so tief und sanft war, wie die eines Mannes. Er saß auf der Mauer, in der Nähe vom Glockenturm und blickte hinab zu dem Dorf. Schwarze einfache leinene Kleidung, wie es dort üblich war. Ich wusste sofort, dass es der Tod ist. Weil ich doch sein Engel bin. Hab’s daran gesehen, wie er seinen Kopf drehte. Hab’s an seinem Blick erkannt.
“Mädchen” hat er gesagt…nein geflüstert. “ Mädchen komm her!”
Und ich ging zu ihm. Ohne Angst. Warum auch. Wusste ja eh schon, dass ich sterben werd. Dort zu stehen und ihm in die Augen zu sehen, waren die lebendigsten Momente in meinem Leben. So ehrlich. So unbeschreiblich innig und echt. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, schenkte er mir mehr Trost, mehr Gefühl, als ich jemals zuvor auch nur erdenken hätte können. Dann scheint mir alles verworren und doch echt. Als wäre es nur eine Erinnerung, die ich mir zurechtgeträumt habe. Weil sie so wundervoll ist. Er küsste mich. Der erste Mann, der mich überhaupt küsste. Nicht mein Gesicht, oder mein Abbild, sonder mich, mein Innerstes, alles was mich ausmacht, meine Seele.
Und ich verstand, dass ich nur den Tod lieben kann, weil der nicht wegsterben wird. Doch als ich mich am nächsten Morgen wiederfand, an dieser Stelle am Boden liegend, wie ein vergessenes Gepäckstück, waren meine Kopfschmerzen schlimmer als je zuvor. Es ging mir schlechter als je zuvor und ich kehrte zurück nach München. Danach bin ich nur noch einmal verreist. Im fünften Jahr. Meinem 25igsten Lebensjahr.
Nach New York.
Mein Vater schickte mich dort hin. Es sollte da fähige Ärzte geben, die mir helfen können. Die es vielleicht schaffen würden, dieses Ding aus meinem Kopf zu schneiden, dass mich falsch programmiert. Vielleicht verhindern, dass ich sterbe. Ich wohnte ich in so einer kleinen, aber hübschen Wohnung in der Nähe der Wave Hill Gardens. Tagsüber war ich oft einige Stunden im Krankenhaus, manchte ein paar Erledigungen. Nachts ging ich tanzen manchmal, in den lauten Clubs. Oder ich schrieb. Oder ich saß im Park und suche den Tod, damit er mich noch mal küsst und mich glücklich sein lässt.
Egal. Zeit vergeht.

“Frau Denk!” Sagt Mr. Miller, natürlich auf amerkikanisch, aber weil ich nicht so schlecht bin im Englisch macht das keinen Unterschied. “Frau Denk, es gibt keine angebrachte Weise ihnen diese Mitteilung zu machen, darum sage ich es, wie es ist…”

…..Zeit verging: 6 Monate lebte ich in New York..
6 Monate lang lief ich jeden Tag ins Krankenhaus und ließ andere Leute in meinen Kopf sehen. (Ich wünscht ich könnte mich sehn, in deinem Kopf, in deinem Kopf…Kopfkino) In diesen sechs Monaten begleiteten mich meine Kopfschmerzen. Manchmal so schlimm, dass ich glauben wollte, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Es konnte wohl. Und ich konnt und wollt mich nicht recht daran gewöhnen, weil….jedesmal wenn ich dachte…okay…es IST schmerzvoll, aber noch erträglich, wurde ich alsbald eines besseren belehrt. DAS geht. Und eigentlich wollte ich nicht wirklich rausfinden, wann der Endpunkt erreicht ist.
Die Tage, an denen es ruhig war – in mir, an denen ging ich Nachts tanzen. Ließ das Stroboskoplicht durch meine Augen in mein Hirn tanzen und meinen Körper im Rausch der Töne versinken. Wenn es in mir nicht ruhig war, ging ich in den Park, gleich nach dem Krankenhaus. Dort blieb ich meistens bis tief in die Nacht. Die sich erhebende Dunkelheit genießend…mit ihrer Stille.Beides tat mir gut…besänftige die Wellen in mir…wenn sie losbrechen wollten um mich zu brechen. Was einem gut tut lernt man lieben.
Die letzten beiden Monate….verbrachte ich sehr oft im Park. Wenn noch Tag war, mit geschlossenen Augen, wegen dem Licht, damit der Kopf nicht so tobte. Mit der Zeit erkannte ich Dinge wieder. Umstände. Wie zum Beispiel…die Mütter, die tagsüber mit ihrern Kindern regelmäßig im Park spielten. Erst an dem Klang ihrer Stimmen, später an der Art und Weise, wie sie ihre Schritte setzten. Und manchmal glaubte ich sogar riechen zu können, ob es die zaghafte Griechin war, mit den beiden schweigsamen Säuglingen, oder die Puertoricanerin….gelassen bis ins letzte….deren elfjähriger Sohn, mit Vorliebe stundenlang verschwand, nur um dann urplötzlich wieder aufzutauchen als ob nichts gewesen wäre. An einem Donnerstag wurde mir bewusst – mit Gewissheit bewusst – dass er bald schon nicht mehr zurückkommen würde…ich hörte es an den Vibrationen in seiner Stimme als er sagte: ”Komm gleich ……… [Ich ‘sah’ seine Mutter…an ihrem dunkelgrünen Telefon stehen, daheim bei sich …die rote LED blinkt….eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantwortete…dann drückt sie drauf….dann verliert sich ihre Fassung….ihr Anglitz wird blass…sie schwankt…hält sich an der Wand….ihre Mimik verzerrt sich….ihre Augen werden zu salzernen Flüssen….ihre Lippen öffnen sich zu einem lautlosen Schrei…. Dann vorbei.] ………..wieder Mum!”
Klingt komisch?
Jedenfalls lernte ich den Park nebst seinen Bewohnern kennen. Welche Tageszeit, welche Farbe die Bäume zeichnete. Welche Blätter, wie sie im Wind rauschten. Man will gar nicht glauben, wie viel man wahrnimmt, wenn man sich auf etwas konzentriert. Drei oder viermal glaubte ich auch den Tod gesehen, oder nein…viel mehr gefühlt zu haben. Wenn ich da so saß, des Nachts. Nicht dass ich es an jemanden , oder etwas hätte festmachen können. Es war mehr so, als würde irgend ein Eindruck, den richtigen Hebel aktivieren und mich an Hvar denken lassen. Mädchen, Mädchen komm her. Doch wenn ich mich umsah, war er nicht da – der Tod.
Ich konnt ihn nicht finden, dafür fand er mich.

“…..sie werden sterben!” Vollendete Mr. Miller seinen Satz und der durfte sowas sagen, der war nämlich ein hoch dotierter Neurochirug.
Ich saß bei ihm in seinem Büro und sah ihn einfach nur an. Sein Blick war scheinbar hart. Proffessionell.
‘Ganz der Vater’ schoß es mir durch den Kopf. Er konnte ja nichts dafür. Meine Fehlschaltung nennt sich GlioBlastom, was blöd klingt. Und auch blöd ist. Das war Schuld an meinem vielen Kopfweh. Er frass in meinem Kopf, so wie der Krebs meine Mama gefressen hatte. Mr. Millers Augelider flatterten leicht und ich wusste, dass es ihm leid tat. Um mich. Darum dass er mir nicht helfen konnte. Sein Gesicht war seine Arztmaske…aber nicht ganz perfekt.
Ich lächlete ihn an, weil ich es lieb fand, dass es ihm leid tut. Was Neues hatte er mir nicht erzählt. Wusste ich doch schon seit Hvar, dass der Tod mich noch einmal küssen MUSSTE. Weil ICH es mir wünschte. Es ist doch ganz natürlich, dass man einen perfekten Augenblick wieder erleben will…oder?

Auf dem Weg in meine Wohnung zurück dachte ich viel nach. Was aus mir werden würden? Was nach mir sein würde? Was geschieht denn, wenn man weg ist?
Für einen selbst ist es wohl egal, dass Einzige was bleibt, ist die Trauer jener die über bleiben. Ob mein Vater an meinem Grab weinen könnte? Ich glaubte ja fast nicht daran. Wenn ich nur noch einen Tag zu leben hätte, was würd ich tun? Was würd ich tun.
Mädchen. Mädchen komm her.
Und ich ging.

Wenn es denn so sein muss, wenn ich denn jetzt schon den Tod nehmen muss, dann will ich wenigstens meinen Tod sterben. Ich will wieder Engel sein und zu meinem Gott fliegen.
Mein Entschluss ist gefasst. Zwei Tage später halte ich ein Flugtickend in der Hand. Zurück in die alte Welt.
Europa. Zagreb.
Von dort mit dem Zug zum Meer. Mit dem Fährbott zurück nach Hvar.
Hvar.
Tagsüber schlafe ich auch dort. Das Licht macht mein Kopfweh unerträglich. Nachst wandere ich auf dem Fussweg den Berg hinauf. Erklimme die Stufen und warte am Glockenturm des alten Klosters auf diesen wunderschönen Mann. Das er kommt um mich zu küssen. Nacht für Nacht sitz ich auf der Mauer, betrachte die Sterne, lausche dem Zirpen der Grillen und dem entfernten Rauschen der Wellen, wenn sie an Land kriechen…wieder und wieder und wieder.
Ich beobachte den Mond beim abnehmen. Ich beobachte den Mond beim zunehmen.
Fast ist es wie in meinem Park. Nur sind es andere Dinge, die ich kennenlerne. Es ist wunderschön!
Jasmingeruch liegt in der Luft. Betäubend. Berauschend!
Als ich an irgendeinem Abend schon vergessen habe, warum ich mich zu Kloster begebe, verändert sich alles. Die gerade unter gegangene Sonne malt die Reste des Horizonts noch violett….das Violett verschwimmt sacht mit dem zarten Blauschwarz der aufsteigenden Nacht und das Dunkel der Nacht muss dem Schein des vollen Mondes weichen. Im Glocketurm sitzt eine Krähe. Dann ist es, als würde die Welt den Atem anhalten. Ich höre keine Geräusche mehr, als säße ich im Vakuum. Wie auf ein unhörbares Kommando hin, erhebt sich der Schwarze Vogel…sein Flügelschlag…

….Flap….Flap….Flap….
Verliert sich leise in das…
….Tap….Tap….Tap….

Vollzogener Schritte. Ein Mann steigt die Stufen empor. Fast will ich frohlocken, fast will ich hoffen. ER ist es. Doch es ist nur ein alter Mann. Braungebrannt, mit grauen langen Haaren. Auf dem ersten Blick wirkt seine Frisur, als wäre er gerade aufgestanden und hätte vergessen sich zu kämmen. Auf den zweiten Blick könnt ich Stein und Bein darauf schwören, dass jede Strähne so verwirrt sie wirken mag, genau an dem Platz sitzt, an den sie gehört. Kein Zufall, sonder perfekt arrangiertes Chaos. Ich sehe ein Muster. Er ist bepackt wie ein Maultier. Ein lederner Beutel, eine Staffelei, eine Pappröhre. Als er oben ankommt, nickt er mir freundlich zu, als hätte er nichts anderes erwartet. Dann stellt er seinen Stafflei auf und spannt eine Leinwand darauf. Wird wohl ein Maler sein. Ich beobachte ihn dabei, als wäre ich diejenige, für die er das alles tut.
“Wartest du schon lange Mädchen?” Fragt er, während er seine Farben eine nach der anderen auspackt und auf dem Mäuerchen positioniert, auf dem auch ich sitzte.. Seine Stimme ist rauh und warm.
“Seit bald einem………” ‘Monat’ will ich sagen. Doch als ich den Mund nach dem Sprechen wieder schließe, wird mir bewusst, dass ich “…Jahr!” Gesagt habe. Bald ein Jahr ist es her, dass ich hier war.
“Ein Jahr ist nur ein Augenblick in der Ewigkeit.” Meint er philosophisch, aber mit einem väterlichen Augenzwinkern.
Ich schmunzle vergnügt, baumel mit den Beinen und guck in den Sternenhimmel hoch.
“Hab dann nicht mehr so viel Augenblicke…darum bin ich hier…….auch hier,” erzähle ich freimütig, warum auch nicht. Er ist ein alter Mann und weiß um das Leben. So sieht er zumindest aus.
“Nun, du hast so lange gewartet, dann magst du gewiß noch ein kleines bisschen länger warten?….Vielleicht bis ich dich gemalt habe, hm?” Spricht er und zieht einen Pinsel hervor. Zaghaft verknote ich meine Finger, nicke leicht und halte dann still. Verlegen macht mich das, weil ich mich doch nicht so besonders finde. Seine Pinselstrich liebkost das Papier, ich kann es hören.
“Deine Farben leuchten im Mondlicht wunderschön,” flüstert er fast ehrfürchtig und seine Stimme jagt mir eine Gänsehaut über denKörper. Doch bevor ich ansetzen kann, um ihn zu fragen, was er denn mit ‘meinen Farben’ meint, spricht er schon weiter. “…auf wen wartest du?”
“Auf den Tod,“ antworte ich. “ Ich bin sein Engel!”
Seine weiße Augenbraue zuckt nach oben und ich denk schon, er hält mit dem malen inne – doch er tuts nicht.
“Du bist sein Engel? Erzähl mehr Mädchen!”
Das tu ich dann auch. Willig. Gibt es doch so wenig Menschen in meinem Leben, denen ich von mir und meiner Welt berichten kann. Ich erzähle…von mir…meinen Gedanken…meiner Kindheit, meiner Mutter, meinem Vater…von Herrn Kreisel…von den Dinge die ich gerne tu, die mich faszinieren…davon, dass man die Welt hören kann ohne sie sehen zu müssen, von dem Jungen, um dessen Tod ich weiß, obwohl ich es nicht wissen KANN. Meinen Kopfschmerzen und davon wie der Tod mich begleitet, und ich ihn…und dass das auch der Grund ist warum ich hier sitze und in den Himmel starre. Er lauscht aufmerksam, ich weiß es, obwohl er nicht einmal seinen Blick von der Leindwand nimmt. Und er lacht mich nicht aus. Es ist eine seltsame Vertrautheit zwischen uns. Diesem alten Mann und mir. Ich wünschte mir, mein Vater hätte sich nur einmal die Zeit genommen wir so zuzuhören. Aber dafür ist es zu spät, nicht wahr?
Als ich eine Weile schweige, weil mir nicht mehr nach reden ist, beginnt er zu sprechen.
“Diese Insel, Hvar…ist etwas besonderes. Ein besonderer Ort auf dieser Welt. Es gibt kaum einen Ort, der von seinen Bewohner, derart geliebt wird und gleichzeitig gefürchtet. Hvar hat schon viel gesehen …viel erlebt. Wenn du dir Zeit nimmst, dem Wind, den Wellen zu lauschen, wenn DU, Kind, deine Hand auf den Stein dieser Mauern legst erzählen sie dir Geschichten. Grausame, lustige Geschichten…voller Hingabe, voller Liebe. ECHTHEIT!”
Seine alten Lippen umspielt ein Lächeln. Der Klang seiner Worte geht mir durch und durch, ich lege mich zurück, rücklings auf die Mauer und schließe meine Augen. Wenn diese Steine sprechen könnten, was würden sie sagen?
“Sie können es Mädchen, du musst nur zuhören…”
Sie können es, sie können es.
Ich lausche und höre nur das leise Kratzen des Pinsels auf der Leinwand. Chrrrt. Chrrt…wird zu einem scht..scht… Wird zu dem schlagen der Wellen am Strand, ich lächle leise und gleite in einen Halbschlaf, begleitet von seinen Worten.

Im Herzen der Berge auf Hvar gibt es ein Kloster, schon so alt das niemand den Namen mehr weiss. Unwirkliche Dinge gehen darin vor. Nachts kriecht das Grauen daraus hervor und findet seinen Weg ins Tal zu den Kindern Hvars um sich zu nehmen was es zum Leben braucht. Jene die behaupten es gesehen zu haben sind verrückt geworden. ES ist so alt wie Hvar selbst und ES gehört dazu. Alles hat zwei Seiten. Hvar ist die Schöne. ES ist die Schreckliche. Dennoch sind sie untrennbar miteinander vereint. Manche kennen seinen Namen, auch wenn sie ihn nicht aussprechen. Von all jenen die dorthin gingen um ES zu suchen kam nur Zwei wieder. Einer von ihnen war Hastor, der seid jenem Tag den Namen Toth trägt. Was damals geschah weiss niemand. Mit seinem Blut und seinem Schweiss schuf Hastor dass Dorf zum Fusse dieses Berges. ES hat ihm geholfen wie auch immer. Deswegen gibt es Hvar, deswegen gibt es die Toth. Die Zweite, die zurück kam, war Helena Toth. Sie erkaufte mit ihrem Blut, die Freiheit Hvars. Reinigte diesen Ort von den grausamen Machenschaften der Djovanni…seiner Zeit. Beide gaben alles um zu retten was sie lieben. Beide wurden echte Kinder Hvars. Ich liebte sie beide.
Willst du ein Kind Hvars werden?
….genieße den Sonnenaufgang!

Ein Flüstern in meinem Ohr. Ich blinzle. Der Himmel ist dunkeltürkis. Wie wundervoll. Ich finde mich auf der Mauer dieses Klosters liegend wieder. Hab geschlafen. Hab geträumt. Von alten Geschichten, von einer wunderschönen Frau namens Helena….von Krieg und Tod. Tod. Der alte Mann. Hab ich auch ihn nur geträumt? Ich richte mich auf und sehe mich suchend um. Ich bin allein. Kein Mann, keine Leindwand, keine Farben….schließlich bleibt mein Blick auf der Meeresbucht liegen, die man von dem hier erhöhten Standpunktaus wundervoll sehen kann.
Die Sonne geht auf.
Mein Atem stockt mir, als hätte ich noch nie gesehen, wie das Licht die Welt erweckt. Das Wasser glänzt von einem gleissernem metallischen Blau, so hell, dass ich beinah wegsehen möchte. Doch es scheint mir wichtig diesen Anblick in mich aufzusaugen. Darum bleibe ich sitzen. Ich spüre, dass mein Leben an einem Wendepunkt ist. Das ist mir mit einer Deutlichkeit klar, die keinen Platz für Zweifel lässt. Noch niemals war ich so klar im Kopf. Noch niemals verspürte ich ein derartiges Verständnis für die Dinge der Welt in mir. Dann steige ich die Stufen hinab, folge dem ausgetrampelten Weg zurück ins Dorf. An diesem Tag bin ich eine ganz normale junge Frau. Mich plagt kein Leid, keine Schmerzen, ich schlender über den Markt, versuche von diesen Früchten, koste von jenem Wein. Ich gestatte mir mich an den Strand zu legen und in der Sonne zu braten, etwas, was mich normalerweise meinen Verstand kostet. Ich gönne mir ein fast schon dekadentes Abendessen.
Ich schreibe meinem Vater eine Postkarte:

“Hi Paps, ich lebe wie noch nie zuvor! In Liebe,Eva.”

Ich adressiere und frankiere sie und lasse sie in meinem Zimmer liegen.
Die Sonne bereitet sich zum schlafen gehen und ich WEISS ich muss zu dem Kloster zurückkehren. Dieses Mal noch. Ein letztes Mal noch.
Es ist fast das Gefühl, wie damals als ich mit Karsten Eis essen war. Bin so beschwingt, voller Energie, voller Leben. Wie eigenartig wundervoll, so erfüllt von Glück. Als ich oben ankomme, setzte ich mich nicht auf die Mauer, ich schlender an dem Glockenturm vorbei, die Felswand entlang, bis zu einer kleinen eisernen Pforte.
Tritt ein, bring Glück herein.
Dieses Tor führt mich zu einer steinernen Galerie, von der aus ich in die felsige Schlucht blicken kann am Ende ein ausgeschlagener Durchgang. Mit jedem Schritt wächst eine Unruhe in mir. Mit jedem Schritt verliert sich das Tageslicht mehr. Mit jedem Schritt, nähere ich mich…….meinem Ziel?
Der Durchgang verschluckt mich und ich spüre IHN, noch bevor er sich zu erkennen gibt.
“Da bist du wieder Mädchen!”
Diese Stimme, SEINE Stimme, ich würde sie unter tausenden erkennen…meiner Herz beginnt wild zu schlagen. So sanft, so sacht, so warm, so nah. Endlich find ich wieder was ich suchte. Seit jenem Tag suchte. Mir wird etwas schwindelig und ich stütze mich an der kühlen Steinwand ab.
“Hab dich gesucht!” Flüster ich, als ob es ein Geheimnis wäre, dass niemand wissen dürfte.
“Ich weiß,”erwidert er, dann höre ich Schritte und sein Gesicht entsteigt der Dunkelheit wie ein Phönix aus der Asche. Ein Phönix bringt Tod und neues Leben, nicht wahr?
“Hab dich vermisst,” hauche ich und schlucke meine Nervosität hinunter.
“So wie ich dich Mädchen.” Seine Stimme ist ein Gedicht…seine Art sich zu bewegen ein hypnotischer Tanz. Wie er auf mich zukommt. Wie er mich ansieht. Diese Augen…so vertraut, so gekannt…unvergessen? Ich senke meinen Blick, weil ich es nicht ertragen kann, soviel Schönheit zu sehen. Es raubt mir den Verstand. Zaghaft knabbere ich an meiner Unterlippe und überwinde meine Unsicherheit.
“Hab mich in dich verliebt!” Gestehe ich.
Seine filigranen Finger berühren mein Kinn, meine Kopf sacht nach obend zwingend.
“Darum bin ich hier….”
Als mein Blick den seinen trifft, erkenne ich die Augen des alten Mannes wieder, in diesem jungen göttlichen Gesicht. Mit einem Schlag trifft mich eine Erkenntnis, die nicht wahr sein KANN. Ich bin verrückt. Ich MUSS verrückt sein. Denn das was ich zu wissen glaube, ist so absurd, dass es mein Verstand sein muss, der mich in die Irre führt. Ich beginne zu zittern und die Intensität mit der er mich betrachtet zieht mir den Boden unter den Füßen weg.
“Der Maler…” Fast schon unabsichtlich spreche ich diese Worte.
Seine Lippen umspielt ein amüsiertes? Lächeln. “Das Mädchen…”
Seine Fingerspitzen die mich berühren..so kühl…streichen über meine Wangen, als wäre ich ein Kunstwerk, dass er erfühlen möchte. Ich begehre diese Berührung, ich will weglaufen. Denn das, was hier geschieht, ist nicht von dieser Welt. Was mir mit aller Gewissheit klar ist, ist unmöglich. Undenkbar. Wie kann er zwei sein und doch eins?
“Jetzt hast du gefunden…..”spricht er und seine Hand will in meinen Nacken kriechen, um mich zu halten, doch ich weiche zurück. Von plötzlichem Zweifel erfasst.
“Das ist verrückt!” Presse ich hervor…von einer Art Angst ergriffen. Wie konnte ich jemals glauben, den Tod lieben zu können. Mensch, der ich bin. Frau, die ich bin. Doch ganz normal. Meine Welt dreht sich, sonst müsst ich laufen, sonst würd ich fliehen. Alles absurd.
Er folgt meinem Weichen ohne Hast, als wüsste er, dass ich nicht fähig bin ihm wirklich zu entkommen. “Auf einmal soviele Zweifel?” Das schelmische Blitzen in seinen Augen macht mir wirklich Angst. Ich nicke hastig und drücke mich an die Felswand. Wünsche mir in dem Stein versinken zu können. Einfach zu verschwinden. Er tritt heran, presst mich mit seinem Körper mit sanften Nachdruck gegen den Fels. Mein Leib wird von einer seltsamen Errugung erfasst, meine Wangen röten sich, mein Geist zerreisst. Zusammenpassen will ich nicht. Zwiespältig. Zwiegespalten. JA. ICH ZWEIFLE! Will ich ihm entgegenschreien. Doch meine Lippen schweigen stumm. Sein Blick ist so zärtlich wie der eines Vaters. Seine Hände so zärtlich, wie die eines Mannes…sie streichen…mit fast schon perfiden Genuss mein dunkles Haar beiseite und entblösen meinen Hals. Legen mich offen. Manchen mich angreifbar.
“Zweifel ist, was uns ausmacht…mein Mädchen” Obwohl seine Stimme ganz ruhig spricht, klingt doch ein Lachen mit….”…du bist perfekt!”
In einem Anfall von Schwäche schließe ich meine Augen. Was er spricht ist ein Liebesgeständnis. Vom Tod, an seinen Engel. Was ich sein wollte, will …bin. Mein Widerstand sinkt, wissend, dass meine Wahl schon getroffen ist. Ich höre sein Lächeln. Seine Nähe macht mich wahnsinnig. Meine Güte, natürlich liebe ich ihn, mit allem was ich bin. Und als ich das denke, als ich das fühle, wird dieses Gefühl noch ein vielfaches Stärker als hätte dieses Wissen eine Tür geöffnet. Der Tod malt mich blau und ich fühle dieses Emotion von uneingeschränkter Liebe so intensiv, dass ich bebe, lebe, vergehe vor Gier, ich will berühren, verstehen…noch näher sein…eins sein.
“So ist es fein, gib dich…verlieb dich…fürchte nicht was kommt, denn ich bin dein….hab Angst Mädchen…denn du…….bist mein!”
Seine Worte verschlingen mich…bezaubern und verwirren mich. Wollt ich laufen? Wollt ich zweifeln? Wollt ich jemals NICHT bei ihm sein? Meine Hände entkrampfen sich und suchen zaghaft seinen Körper…sich an ihn haltend…in ihn grabend.
“Dann küss mich….,” mehr kann ich nicht mehr sagen. Mehr gibt es nicht mehr zu sprechen. Ich öffne meine Augen, um dieses Bild nie wieder zu vergessen. Ein liebevoller Blick, erfüllt von maßloser Gier nach mir, die mich bewegt und ängstigt. Ein trostspender Kuss auf meine Stirn. Nicht was ich will, ich will Verlangen…und dennoch tut mir das so gut. Dann suchen seine Lippen ihren Weg meine Schläfe hinab bis zum Hals. Heiss und kalt und Gänsehaut. Scheint so vertraut. Zum ersten Mal in meinem Leben empfinde ich das echte Verlangen einer Frau nach einem Manne. Doch als ich ihn bitten will, mir dieses zu geben, Vereinigung, schenkt er mir Verbundenheit ganz anderer Natur.
Es IST ein wundervoller Schmerz als er in mich dringt. Die Sekunden nachdem seine Zähne durch meine Haut brachen, SIND Wahnsinn. Er ist in mir, wie kein anderer Mann es könnte. Mein Denken verliert sich im Raum und mein Leben verliert sich in ihm. Von der kleinen Wunde in meinem Leibe über seine Lippen in seinen Rachen fließend. Nimm mich! Koste! Ich schenk dir Leben. Alles geben, alles nehmen. Wie wahr…Es dauert nicht lange bis er alles genommen hat….und mir bleibt nur, was ich schon in mir trug.
Tod.

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