Der Andere Brief

Ich erwache. Mein Körper ist fit. Aber mein Geist schreit nach Schlaf. Als hätte ich die Nacht damit verbracht Rätsel zu lösen. Vielleicht habe ich dass ja auch. Ich taste nach der Wasserflasche neben meinem Bett und kann sie nicht finden.
Ich seufze und ziehe die Vorhänge beiseite. Licht. Ich blintzle unwillig. Helles Licht ist wirklich ekelhaft wenn man nicht ausgeschlafen ist. Ein Schluck Wasser, dann tappser ich raus aus meinem kleinen Schlafzimmer und steige vorsichtig die Stufen runter zum Bad.
Moment.
Für einige Sekunden stehe ich da und weiss nicht so ganz wo mein Problem ist. Irgendwas in meinem Schlafzimmer. Nach einigem Zögern gehe ich zurück und sehe mich um. Nichts drin was nicht drin sein sollte…nichts fehlt. Nun gut.
Ich besänftige die Fragen in meinem Kopf damit dass ich eigentlich noch nicht wach bin.
Auf dem Weg durchs Wohnzimmer sieht mich das Bild von den beiden halbnackten wunderschönen Frauen in schwarz/weiss an…darunter steht…’What every man wants’…
Abermals bleibe ich stehen und frage mich was daran nicht stimmt.So verharre ich bestimmt 5 Minuten, bis ich es schließlich sehe. Neben dem Bildrand ist nochmal ein Rand. Ein Rand hellere Tapete. Das ewige Los der Raucher. Gelbe Tapeten.
Also ein heller Rand. Das heisst, das Bild wurde bewegt. Ich wars nicht.
Ich schüttle meinen Kopf, gehe zu dem Bild und schiebe es wieder so hin, wie es vorher war.
Hm.
Ich bin unzufrieden.
Ich ärgere mich.
Früher war es gut wie es hing…und jetzt?
Ich grummle und schiebe es wieder so zurecht, dass man den weissen Rand  sieht.
Was für ein Hek-mek.
Ich beschließe mich nach der Morgentoilette umgehend wieder schlafen zu legen. Wenn der Tag schon so anfängt…
Während ich noch über das Bild nachdenke fällt mir auch ein was im Schlafzimmer nicht gestimmt hat. Auf meinem Fenstersims steht eine Nachbildung von Horus. Dem ägyptischen Gott der Falken. Der steht recht weit links, damit er nicht runterfällt wenn ich das Fenster öffne… Das heisst er stand dort. Ein seltsames Gefühl macht sich in mir breit. Nicht dass ich nicht schon genug Dinge hätte über die ich nachdenken kann.
Was zum Teufel…

Ich will mich gerade runterbeugen um mir den Schlaf aus dem Gesicht zu waschen als ich den Ausschlag entdecke. Na  Bravo. Wieder dauert es einige Sekunden, bis ich mir bewusst werde dass es kein Ausschlag ist. Sondern – ich blicke an mir hinab. -… Zeichen. Mir bekannt, aber lesen kann ich sie nicht. In meinem Gesicht. Auf meinen Armen. Ich erhebe meinen Blick und starre wie Hypnotisiert  auf die Schrift die sich mir im Spiegel offenbart.

Im Spiegelkabinett.
Jede Regung der Menschlichkeit. Wird verzerrt. Monströs. Wahrhaftiger?
Du stehst in der Mitte. Siehst die verzerrten Leiber und Geister der Toten, die noch leben. Das Leben imitieren. Verzerren. Verzehren.
Doch diese Bilder flüstern. Reden zu Dir. Schreiben Dir Briefe. So viele Briefe. Heischen. Zerfleischen. Wollen Dich. Zu viel Aufmerksamkeit kann tödlich sein. Merke auf!

Die Freundlichkeit der Giovanni.
So fürsorglich. Komm' in die Familie. Wir sorgen für Dich. Beende den Zwist. Sie könnten Dir eine Familie sein?

Der Zorn der Brujah.
So direkt. So kompromisslos. So ehrlich.
Sie verkörpern, was Du verspürst?

Das faszinierte Interesse der Toreador.
Nein, ich denke nicht.

Das Lachen der Ravnos.
Verwegen. Verführerisch. Alles ein Spiel. Kümmere Dich um nichts, denn Du bist frei. Wäre das nicht schön? Endlich frei zu sein?

Die Verzweiflung der Malkavianer.
Familie. Zorn. Sicht. Freiheit. Sie bieten Dir alles. Und mehr noch als bei den anderen wirst Du nichts davon bekommen. Nur Scherben werden Dir bleiben. Zweifel. Verzweiflung.

So viele Lügen. So viele Wahrheiten. So viele Bilder hinter den Bildern des Spiegels. Aber ach. Nicht viel mehr als pathetisches, jugendliches Geschwätz, das ich Dir geben kann. Ein bedeutungsloser Brief unter vielen bedeutungslosen Briefen. Verzeih. Verzeih' Malekin seine Sünden. Dir bleibt allein die Wahl, keine Wahl zu haben.

Du hast uns berührt. Uns schaudert. Willst Du die Wahl? Wir könnten Dir den sanften Tod schenken. Für immer. Wir könnten Dir den Tod der Malkavianer geben, der Giovanni, der Ravnos, der Toreador, der Brujah. Für immer.
Wie grausam wir sind. Verzeih.

Du bist Malekin wichtig.
Malekin.
Anna.

Ich könnte schockiert sein, weil ich nicht gemerkt habe dass jemand bei mir war.
Ich könnte böse sein, dass jemand, ohne mich zu fragen meinen Körper berührt hat.
Ich könnte wahnsinnig werden, weil ich von meiner Haut die Dinge lesen kann die ich mir denke.
Aber ich stehe nur da und gaffe die einzelnen Buchstaben an. Einen nach dem anderen die zusammengefügt Worte werden. So sinnvoll, so sinnlos wie jedes Zeichen für sich selbst.
Sind meine Gedanken so offensichtlich?
Oder nur für ihn?
Für eine Sekunde sticht es mich dass ich garnicht weiss wie ich Katinka erreichen kann. Würde sie es merken , würde ich nach ihr schreien? Oder sind das alles nur Hoffnungen? Einbildungen in meinem Kopf? Ich bin sicher sie versteht was ich gerade fühle.
Ich könnte lachen. Wie von einem Malekin erwarten normales Briefpapier zu verwenden? Wo es doch so viel sinnvoller ist die Worte dorthin zu schreiben wohin sie gehören. Auf mich. In mich.
In einer Absurden Fantasie verändern sich die Buchstaben. Sie sind nicht mehr auf meine Haut geschrieben. Er hat sich IN meine Haut geritzt. Ich sehe wie er da sitzt und in liebevoller Kleinarbeit jeden Buchstaben in mich schneidet wohin er gehört. Manchmal fallen die Worte auseinander, weil dieser und jener Punkt nunmal keine Narbe tragen darf. Auf diese Weise verlieren sich die Worte. Doch es ist nicht schlimm. Denn jeder Schnitt, jeder Blutstropfen sagt mehr als genug. Mehr als ich erfassen. Ich verstehe und trotzdem ist es mehr als ich jemals verstehen könnte. Meine Denkfähigkeit ist beschränkt. All diese Information passt da nicht rein. Die einzelnen Aussagen stapeln sich aufeinandern. Ineinander. Verbinden sich und daraus entsteht noch mehr. Kein Unsinn. Alles in sich so sinnig dass es mich krank macht. Kurz bevor ich Angst haben muss dass mein Schädel platz geht ein Beeben  durch meinen Körper, dann werden die Wunden wieder zu Farbe, die Zeichen zu Worte und die Worte zu diesem Brief. Noch so ein Brief.
Mechanisch drehe ich den Wasserhahn auf. Wassertropfen fallen auf mein Spiegelbild und während sie an der Oberfläche langsam hinabfließen nehmen sie die Worte mich sich.
Bin ich diesem Wahnsinn gewachsen?
Hab ich ihn, oder hat er mich?
Hab ich die Wahl?
    “Fragen über Fragen…” Murmle ich. “…und wie es weitergeht erfahren sie das nächstemal, wenn es wieder heisst: Kann den Wahnsinn Sünde sein!”
Ohne noch einmal in den Spiegel zu sehen drehe ich mich um und lasse die Wanne voll laufen. Heute Abend werde ich Wolfenstein sehen. Ich bin neugierig und freue mich auf dieses Treffen. Ein Stück Normalität? Mal sehen.
Ein Bad wird mir jetzt gut tun.
Ich liege im heissen Wasser und lasse meine Gedanken wandern.
Eine Angemessene Antwort?
Ich kichere. Ich könnte meinen alten Füller, in dem man die Tinte noch aufziehen muss, holen und ihn mit meinem Blut füllen. Egal was ich schreibe. Es wäre Antwort genug.
Bin ich verrückt genug?
Bin ich ver-rückt?
Ich tauche unter und wieder auf.
Ich bin.

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