Anna und der böse Wolf

8. Mai. 2002

‘La Bouf’ heißt der Laden. Er ist  am Ende der langen Zeile in Erding. So gut wie jedes andere Café. Vielleicht besser. Nicht so viel los. Nichtsagenden Hintergrundmusik Nicht ganz so hell.
Ich krame mein Handy raus und blicke auf die Uhr. 21:24.
Einen Moment lang bin ich unschlüssig, dann suche ich mir eine etwas ruhigere Ecke, lege meine Jacke dort ab und begebe mich zum Nase pudern. Natürlich nicht wirklich.
Über das langweilige Waschbecken Dekor hinweg gebeugt, betrachte ich mein Spiegelbild auf der Damentoilette. Ein bisschen nervös bin ich  schon. Außerhalb eines Elysiums bin ich  faktisch Freiwild. Kein Recht, nein… Kein kainitisches Recht schützt einen Menschen. Mehr bin ich ja nicht.
Ich grummle kurz, aber als ich darüber nachdenke, wen ich gleich treffe, bessert sich meine Laune  zusehends.
Weiß der Himmel woher ich diese Weisheit habe, aber Thomas Wolfenstein fügt mir sicherlich keinen Schaden zu.
Schließlich ist er ja nett. Das leise aufmerken meines Unterbewusstsein, dass ‘nett ’ nicht unbedingt ein fundiertes Argument ist, ignoriere ich geflissentlich. Eh zu spät.
Als ich wieder zu meinem Sitzplatz zurück kehre, sitzt er schon dort. Und nicht nur das. Die Bedienung bringt Red Bull mit Eis und Zitrone. Nicht dass man Hellseher sein muss, um zu ahnen was ich wohl trinken werde. Trotzdem bin ich positiv angetan.
Ich setzte mich wieder an den Tisch. Lächle verlegen.
    “ Und? ” Frage ich. “ Zufall oder wusstest du dass ich hier sitzte? ”
Er lächelt seinerseits und sieht mir so tief in die Augen, dass ich nicht umhin komme meinen Blick umgehend auf die äußerst interessante Tischplatte zu lenken.
Schon ärgere  ich mich ein bisschen, dass ich sofort zurückstecke.
    “ Ist nicht alles irgendwie eine Art…. Zufall ? ” Antwortet er. Wobei es ja keine Wirkliche Antwort ist.
Malekin?
Wir floskeln eine  Begrüßung und ein wenig Small Talk..
Ich habe mir fest vorgenommen, dem bösen Wolf dass Messer auf die Brust zu setzten. Ich weiß nicht genau warum ich ihn Thomasso gegenüber so vehement verteidige. So unrecht hat er schließlich nicht. Und ich bin nicht so dumm, dass nicht zu erkennen.
Ich werde herausfinden was er will und ob er von Andraschke geschickt wurde.
Doch während wir so dahin plappern, über dieses und jenes sprechen, verliert sich dieser Vorsatz irgendwie. Es ist einfach zu schön, völlig frei heraus reden zu können. Über die Dinge, die mich beschäftigen, was lustiges geschieht, über Vampire im Allgemeine, über manche im speziellen. Er scheint mir ein unerschöpfliches Wissen zu haben und den Willen mir alles zu erzählen. Ich bin im Schlaraffenland. Und was er sagt, oder rät ist, na einfach sinnvoll. Völlig unabhängig von ihm. Ratschläge die mir ein Freund geben würde. Und so blind bin ich wirklich nicht, dass ich mir das einbilden würde.
    “Wie schmeckt Blut? ” Meine Stimme ist leise. Muss ja nicht jeder hören welche Gespräche hier am Tisch laufen. Gebannt betrachte ich ihn. Sein Blick schweift beiläufig durch den Raum, als würde er die Bedienung suchen. Dabei sticht er einem seiner seltsamen Ringe in sein Handgelenk, schneidet es ein Stück auf und leckt das Blut genüsslich ab.
Diese Geste scheint mir so obszön, dass ich nicht recht weiß ob ich weg oder hingucken soll. Ich sehe vorsichtshalber einfach geradeaus, so dass ich zumindest aus dem Augenwinkel mitbekomme was er da tut. Es macht mir eine Gänsehaut. Mein Herzschlag beschleunigt und beruhigt sich wieder.
    “Es schmeckt wie Feuer, aber anders…. ”
All seinen Worten kann ich gerade nicht folgen.
Er IST ein Vampir. Vergiss das nicht. Und welche Gründe du auch hast, ihn sympathisch zu finden. Frage warum!
Meine kurze Unsicherheit lässt mich den Weg wieder finden, den ich doch gar nicht verlassen wollte.
    “Hat Jana Andraschke dich geschickt? “ Frei heraus. So muss es sein.
Und ich suche seinen Blick, um eine mögliche Lüge zu erkennen. Bei Menschen kann ich dass ganz gut.
Meinem Blick hält er eine ganze Weile stand, während er schon zu reden beginnt. Er erzählt mir davon, wie lange beide schon in der Stadt sind. Wie es üblicherweise abläuft. Mutmaßt über ihre Person. Getroffen hat er sie noch nicht, versichert er mir. Alles ganz logisch und ich habe nicht das Gefühl, er hätte mich angelogen.
Doch wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir auf, dass er meine Frage ganz einfach nicht beantwortet hat. Er hat mir nur Dinge gesagt und mich eigene Schlüsse ziehen lassen.
Das Spiel kenn' ich doch.
Trotzdem will ich mich nicht über ihn ärgern. Im Gegenteil, ich bewundre ihn für seine Gewitztheit.
Hmpf.
Das nächste mal…..
Ich kann meinen Blick nicht so recht von dem Ring an seiner linken Hand lassen. Dem Ring, mit dem er sich geschnitten hat.
Die Gespräche ziehen sich von da nach dort. Über Josephas verunglimpftes Kind. Ein wenig Giovanni Geschichtsunterricht. Nichts, über was mich Thomasso nicht schon informiert hätte.
Thomas betont bei seinen Erzählungen das Thomasso… Hätten die sich nicht unterschiedliche Namen geben können? …sind sie doch sonst so unterschiedlich!… Dass dieser nichts mit der schlimmen Vergangenheit zu tun hat. Außer das Blut zu teilen. Ich muss schmunzeln und mich fragen, ob er das betont, weil er das so meint, oder weil er weiß, dass ich das gut finden werde.
Wie wird man Ghul?
Warum trinken Menschen freiwillig das Blut der Vampire?
    “Willst du? ” Bemerkt er ganz nebenbei und setzt seinen Ring wieder an.
Und dieses eine mal weiß er nicht was seine Frage in mir auslöst. Er weiß, dass ich dieses Angebot ablehnen werde. Auch wenn mir mittlerweile klar ist, dass ein einziges Mal noch nicht die Tragik wäre. Er fragt halt mal. Wenn ich schon frage.
Doch die Versuchung, dass tatsächlich zu tun… ihm zu helfen, seine Haut zu öffnen und von dem rotem Leben zu versuchen… ist so groß, dass es mich selbst völlig aus der Bahn wirft.
Wirre Bilder in meinem Kopf, die mir sicherlich gar nicht gehören. Ich kann nicht beschreiben, warum es mich so verdammt anspricht. Es ist doch nur Blut. Ich ertappe mich dabei wie ich taktisch nach der Bedienung Ausschau halte und mir dabei über die Lippen lecke. In drei Teufels Namen. Nun ist gut Anna Toth.
Irgendwie gelingt es mir banal abzuwinken.
    “Um Gottes Willen, Thomasso würde mir den Kopf abreißen… und dir vermutlich gleich mit… “  lache ich ein bisschen künstlich. Zeit gewinnen.
Der Wolf lacht mit, nickt und schenkt mir einen Blick der mich Wissen lässt, dass es anders ist. Ein Wort – nein – ein Blick mit dem ich ihn bitte und er wird mir geben was ich will.
Böse Spielchen.
Böser Wolf.
Aber ich bin nicht böse. Im Gegenteil. Ich fühle mich lebendig. Viele der Dinge, die er sagt und tut, glaube ich zu durchschauen, manche durchschaue ich tatsächlich. Mir kribbelts unter den Fingernägeln.
Er lügt und spricht die Wahrheit im selben Atemzug. Ob das ein Ravnos Talent ist?
Es spinnt sich weiter, wie ich reagiere, wie er reagiert. Ein Tanz.
Hasch mich, ich bin der Mörder.
Es macht Spaß. Ich fühl mich frei. Nicht unterlegen wie sonst so oft. Obwohl er mir natürlich über ist. Körperlich sicher. Seine Fähigkeiten… Welche verrät er mir nicht so recht. Illusionen. Aber davon abgesehen – kann ich mithalten. Denke ich zumindest.
Ist das ein Fehler? Bestimmt.
Wir reden über Katinka. Von dem Tag an dem ich sie kennen lernte. Von dem Mann, von dem sie getrunken hat und ich dachte sie macht mit ihm rum. Danach wusste er von nichts. Sie hat es ihn vergessen lassen. Der Kellner, der uns damals nicht abkassierte, als Thomasso, Katinka und ich beim Essen waren. Hatter er es … Vergessen?  Das fasziniert mich.
    “Kannst du das? ” Frage ich ihn. “ Vergessen lassen? ” Er zieht an seiner Zigarette und schüttelt langsam seinen Kopf.
    “ Es gibt wohl welche die Können es, aber die Gefahr besteht dass die Erinnerung zurück kommt. ”
Ich nicke, aber zufrieden bin ich nicht.
Wie ein Kind beiße ich mir auf die Unterlippe, stütze meine Ellbogen auf den Tisch und grinse ihn verschmitzt an.
    “Wie geht das? ” Frage ich leise. ” Das mit dem Vergessen lassen? ”
Er sieht mich an. Lächelt ein wahrhaft charmantes Lächeln. Was für Augen. Seine Stimme kling ein wenig tiefer wie sonst, als käme sie von ganz tief drinnen. Was für ein Blick.
Schmachte ich?
    “Was hast du mich gerade gefragt?”
Ich stutze kurz, dann fällt es mir wieder ein.
    “Na ob du das kannst?  Wiederhole ich. “ Das mit dem Vergessen lassen…. ”
Er zieht an seiner Zigarette, lächelt ein zufriedenes Lächeln und schüttelt seinen Kopf.
    “Es gibt wohl welche die das Können. Aber es ist gefährlich, die Erinnerungen könnten zurück kommen. ”
Ich  nicke, aber richtig zufrieden stellt mich die Antwort nicht.
Wir philosophieren uns durch noch hundert Themen. Ob Mensch und Kainit zusammen leben könnten. Katargo?… Vampire die so alt sind, dass sie kein Blut mehr brauchen. Diese jüngste Tag Geschichte. Lyra kein Ghul mehr.
Die Zeit vergeht wirklich wie im Flug.
    “Traust du mir? ” Will er aus einem Gespräch raus wissen.
Ich lache.
    “ Mit dem Kopf? Keinen Meter… ” Das ist mein Ernst. Irgendwie.
    “ Und mit dem Bauch? ”
Ich nicke nur und sage nichts weiter. Und ich weiß dass ich damit richtig liege und völlig daneben.
In einem Zug leere ich mein Glas und stelle es ab. Wende mich ihm zu und sehe ihn mit vergleichbar viel Ernst an.
    “Irgendwann werde ich wissen, in welchen Punkten du mich belogen hast ” sage ich leise. Und es ist die Wahrheit.
    “Ich hoffe es… ” Erwidert er und auch dass ist die Wahrheit.

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