Zwischenspiel I

Die Nacht von Montag auf Dienstag ist regnerisch – wer kann schon sagen, wohin es Anna nachts zieht? Und warum? Ihre Augen sind jetzt offen – oder besser… halboffen. Sie schläft nicht mehr wie die anderen sondern kann zumindest einen Teil der Dinge erahnen, die sich wirklich in der Nacht abspielen. Irgendwann zwischen drei und vier rollt Annas Wagen über eine matschige Arbeitsstraße in der Nähe von Planegg. Was treibt sie? In der ferne hört sie ein Klagen, wie von einem verwundeten Tier. Dann wieder Stille. Anna steigt aus, sieht sich um. Ein Weg, zwischen ein paar Bäumen hindurch und auf einmal steht sie am Abgrund. Der Mond bricht durch die Wolken und nun kann Anna sehen, daß sie über einer Kiesgrube steht. Das Mondlicht wird matt und kalt in den großen Pfützen am Grund der Grube gespiegelt und reflektiert. Inmitten dieser kleinen Seenlandschaft steht ein olivfarbener Unimog mit Pritsche. Keuchend steht dort eine gebeugte Gestalt, stützt sich auf die Motorhaube. Langsam richtet sie sich auf und im fahlen Mondlicht erkennt Anna… Den unbeugsamen Brujah. Aber nicht der, den sie kennt. Keine Sonnenbrille, auch kein Schwert. Hemd und Hose sind klatschnaß, er muß schon länger da unten stehen. Seine linke Hand sieht aus, als wäre sie stark verletzt, dick und angeschwollen. Und auf einmal begreift Anna, daß er weint – kaltes rotes Blut rinnt aus seinen Augen über seine Wangen. Sein Mund öffnet sich und wieder hört Anna diesen klagenden Schrei und im nächsten Augenblick, schneller als Ihr Auge es wahrnehmen kann, drischt er seine linke Faust in den nackten Fels, immer und immer wieder, mit einer Wucht, als würde eine Abrißbirne den Fels treffen. Nach zwei oder drei Minuten, die Anna wie eine Ewigkeit vorkommen, endet der Ausbruch. Die Hand ist kaum mehr als eine rote, breiige Masse, als sich Schlayer wieder gegen den Unimog lehnt, wie betäubt. Anna zaudert einen Moment und zieht sich dann vorsichtig zurück – ihn jetzt zu stören scheint keine gute Idee zu sein. Als sie in ihren Wagen steigt hört sie ein letztes mal sein Klagen von Verlust und Trauer.

….. Als er aufstand, an dem Morgen, der sein letzter war. Schien die Sonne und die Vögel kreischten laut.
Eine Woge von Verlangen stürzte über ihn und klebriger Tau bedeckte die Haut
Durch den Aderblauen Himmel ging ein breiter Riss, dunkle Wasser brachen über ihn herein.
Eine unbekannte Macht erhob sich tief in ihm und mit einem Mal war ihm alles klar.das nichts mehr so wie gestern war…….

Ich sitzte in meinem Wagen. Mein Spiegelbild in der Frontscheibe betrachtet mich unentwegt. Dieses Lied spielt leise und für das zehntel eines Augenblickes wage ich zu ahnen wie es sein könnte, so zu sein wie sie.
Hab ich geträumt? Mein Herz klopft noch immer, als hätte mich jemand gejagt. Obwohl ich ganz leise gegangen bin. Wortlos. Gestenlos.
Nicht das was ich tun wollte. Aber das was ich tun musste. Und ich bin mir nicht völlig sicher ob mir, oder ihm zu liebe.
Dieses Bild will nicht aus meinem Kopf.
Wie er da steht. Tropfnass. Die Reste seines Schreies vibrieren noch in mir. Wie er sich seine Hand an dem Felsen zertrümmert. Alles in mir wehrt sich bei der Vorstellung wie schmerzhaft das sein muss. Doch Schmerz ist ein feiner Arzt – ich weiss das. Äusserer Schmerz betäubt den Inneren. So ist es und so wird es immer sein.
Aber ausgerechnet bei ihm?
Wie soll ich ihm jemals wieder in die Augen sehen? Doch er wird sich nicht wundern wenn ich es nicht tu. Wo ich mich doch so sehr vor ihm fürchte.
Ich schließe meine Augen, um mich nicht mehr zu sehen. Um ihn nicht mehr zu sehen.
Ich fühle Mitleid in mir. Wortwörtlich. Weit entfernt von all den Sachen die man bemitleidet, sonder mit – leiden. Ich habe das bedürfnis zu weinen und kann nicht, weil es nicht meine Tränen wären und ich nicht weiss, ob ich sie vergießen dürfte.
Warum?
Ein Mann…..also ein Wesen… wie er, dass strozt vor Kraft und Unbeugsamkeit?
Was in dieser Welt wirft ihn so zu Boden?
So derart.
Als er mir kurze Einblicke in seine Vergangenheit gewährte, ahnte ich, dass womöglich mehr in ihm ist, als er alle glauben macht. Doch wieviel mehr?
Und dieser Kampf. Ich sehe wie die beiden umeinander schleichen. Tiere auf der Lauer.
Diese Gestalt will mich so garnicht an diesen Kämpfer erinnern…oder doch?
Ist es das was ihn so trifft?
Ich glaube  es nicht, er hat verloren wie ein Mann, soviel Leid wegen eines Kampfes?
Wenn, müsste schon viel mehr dahinter stecken als ich ahnen könnte.
Meine Hand liegt an der Tür. Aufstehen will ich. Zurückgehen. Trost geben. Trost für einen…Brujah?
Schwach bin ich. Kann nicht mehr tun, als denken und fühlen. Sie haben recht. Einfach sind wir Menschen.
Was mag geschehen sein?
Und ist das geschehen was ich da zu sehen glaubte?
Aber ich werde sehen, wenn ich ihm das nächste mal begegne.
Ich werde es in seinen Augen sehen.
Ganz ohne zauberei.
Wenn ich es denn wage hinein zu blicken.

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