Kopfkrank

Grelles Licht.
Ich schließe meine Augen.
Bum-Bum-Bum-ba-Bum. Mein Herzschlag tut was er will.
Schmerz in meine Kopf. Was ist geschehen?
Wieder dieses Licht.
Ich öffne meine Augen und sehe zu ihm.
Der Wahnsinn hat einen Namen. Malekin.
Was ich sehe, ist mehr als mein Verstand fassen kann. Meine Lippen öffnen sich, und ein Schrei dringt aus meinem Innersten – so laut – so gellend… Und dennoch drückt er nicht mal im Ansatz aus, welcher Schrecken mich plagt. Ich bin nicht die einzige die Schreit. Alle Schreien. All die mächtigen Monster liegen am Boden, wie quiekende Mäuse. Mein Knie versagen. Meine Hände legen sich auf mein Gesicht. Keine Sekunde länger. Keine Sekunden länger, will ich DAS ansehen müssen.

Malekin et Malfeis… Und das zwischen Ihnen… Schlimmer als sterben.
Katinka klagt, wie die Weiber auf Hvar, die um ihre toten Söhne trauern. Ihr Weinen bricht mir das Herz und Tränen rinnen über mein Gesicht. Malfeis steht im Raum, wie der wahrhaftige Selbst und ich begreife, warum Menschen an Götter glauben. Wir liegen dar – uns windet im Schmerz. Eine kleine Bewegung seiner Hand, und die letzten, die widerstanden haben, beugen wimmernd ihr Knie. Wolfenstein. Malekin, muss tot sein. Er war es, dem dieses Geschenk galt. Wir, die im Raum waren, erfuhren nur einen Abklatsch des Wahnsinns – nur ein Hauch dessen, was IHN berührte. Kann man Wahnsinn mit Wahnsinn bekämpfen?
Mein Kopf tockt leise gegen die Wand hinter mir. Von einer Sekunde auf die andere, wurde aus einer Party  ein Schlachtfeld.

Alles was vorher war, scheint Jahre vorbei. Die nette Kulisse. Das Theaterstück. Der Gedichtwettbewerb. Die amüsanten Gespräche. Kantinkas Ehrlichkeit. Sam, die lacht. Wolfenstein, mit den blitzenden Augen. Thomasso, der auf mich achtet. Lyra, die mir immer noch so menschlich scheint. Josephas wärmende Nähe. Eine Farce. Alles ist Nichts. Unwirklich im Vergleich, zu dem was ich gerade fühle.
Schon vorbei. Malfeis verlässt die Bühne und lässt uns zurück, ohne sich nur einmal umzuwenden. Er macht sich nicht einmal die Mühe unsere Jämmerlichkeit zu belächeln. Applaus, Applaus! Malfeis gleich Malekin hat seine Vorstellung beendet.
Und schon bald danach, rappeln sich die ersten auf. Kriechen sie aus ihren Höhlen, wie die Würmer nach dem Regen das schützende Erdreich verlassen. Auch Malekin.
Aber an mir geht das alles vorbei. Keine Tränen auf meinem Gesicht. Die, die ich Freunde nenne, greifen nach mir, streicheln über meinen Kopf. Ich weiß was sie denken. Sie denken, wenn es für sie schon so schlimm war, wie muss es dann für mich gewesen sein? Ich armes Kind. Arme Anna. Besorgte Fragen. Fragen, Fragen, kann nichts sagen,  Plagen, Klagen, kann's nicht wagen zu versagen. Ich lache unberührt und schiebe sie von mir. Für was halten sie mich? Meine Knie sind noch immer weich, doch ich erhebe mich, ohne zu wanken. Unruhe in mir. Josepha blickt mich verwirrt an, noch nie habe ich ihre helfende Hand von mir geschoben. Noch nie hatte ich weniger Hilfe nötig. In mir brennt es. Wut. Hass. Ich bin es leid. So leid. Ein Wahn, kein Sinn… sieh was ich bin… ich lebe, ich bebe. Ja ich bebe. Ich hole Luft und drehe mich einmal um mich selbst. Überblick gewinnen. Die fragenden Blicke, derjenigen die mich kenne ignoriere ich geflissentlich.  Hilf dir selbst dann hilft dir….. Malfeis? Wie? Egal.
Ah. Wolfenstein. Er hängt in einem Stuhl, wie ein benutzter Waschlappen. Ein seltsames Grinsen huscht über mein Gesicht, ich wische mir die Hände an meinem Rock sauber und gehe zielstrebig auf ihn zu. Es gibt ein Buch, dass da heißt ‘ Vom richtigen Zeitpunkt’… Ich brauche so was nicht. Ich WEISS, wenn die richtige Zeit gekommen ist.  Ob mir Irgendwer im Weg steht, bis ich beim ihm bin, bemerke  ich nicht. Ich bleibe zwischen seinen Beinen stehen, stützte eine Hand links von ihm, eine rechts von ihm auf seiner Stuhllehne, beuge mich vor und blicke ihm in die Augen.
    “Wann hast du mich von dir trinken lassen…? ” Flüstre ich leise, so zärtlich als würde ich zu einem Geliebten sprechen.
Ein Lächeln, huscht über sein Gesicht. Ein Wolf der von seiner gerissenen Beute spricht. Ein Vater, der stolz die Cleverness seiner Tochter würdigt. Ein gebrochenes Tier, dass eine Wunden leckt und nicht die Kraft hat zu lügen…. Und ich hab's gemerkt.
    “An dem Abend, an dem du dachtest Katinka sei tot. ”
Ich schnaube abfällig, und kann ihn immer noch nicht hassen. Wie viel Kraft liegt in ihrem Blut? Kainiten Blut.
Ich will ihm drohen. Will ihm klarmachen, dass ICH keine Spielfigur bin. Ich bin kein Nichts. Ich will sagen, dass er mir mehr von sich geben soll…. und würde es niemals tun, schon aus Trotz.. Ich will ihn auslachen, weil ich –  kleiner Mensch – , einen Ravnos … Die Meister der Lügen… ausgetrickst habe. Aber ich weiß, dass er mir diesen kleinen Sieg gönnt. Wie viel Spaß macht schon ein Spielzug, wenn ihn niemand würdigt. Und dafür hasse ich ihn doch. Ich stoße mich von ihm weg und gehe Richtung Ausgang.
Und da steht Thomasso. Irgendetwas an ihm scheint mir anders. Ich bin mir nur noch nicht sicher was. Eine Idee. Meine Hand auf seiner Schulter. Ich schmiege mich von hinten an und Flüstre ihm ins Ohr… leise, leise… wohl wissend, wie viel ihm an  mir liegt. An mir und meiner Freiheit, mich für ihn entscheiden zu können.
    “Er hat mir von seinem Blut gegeben…. ”
Er wirbelt rum und sieht mich an, und ich?….. ich  werfe.. einen fast beiläufigen Blick auf Wolfenstein und trete einen kleinen Schritt beiseite.
Ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich still und leise, und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise.
Dann stehen die beiden sich gegenüber. Kälte in mir. Genugtuung. Was sie reden höre ich nicht. Muss ich aber auch nicht. Ich genieße die Spannung. Ich kann die Macht der beiden förmlich fühlen. Aufgeladen. Unter Strom. Und das kribbelt auf meiner Haut. Thomasso räuspert sich und ich erkenne es wieder. Damals bei einer Geisterbeschwörung habe ich dieses Räuspern schon gehört, und jemand den ich gar nicht leiden konnte, lernte ich kennen. Und plötzlich mache ich mir Sorgen. Plötzlich fühlen ich mich schwach. Plötzlich habe ich Gewissensbisse. Da stehen zwei Wesen, die mir am Herzen liegen und sind kurz davor sich an die Kehle zu gehen. Ich muss das korrigieren. Muss es wieder richten. Ist doch alles nicht so schlimm. Ich versuche zwischen die beiden zu treten und sie zu trennen. Doch sie nehmen mich gar nicht wahr. Aber ich bin konsequent… und schließlich wendet sich Thomasso mir zu und erklärt mit rauer Stimme und unschönen Worten, wie wenig ich Wert bin und dass es wohl besser wäre, wenn ich das Weite suchte.
Das sitzt! – und ich entschwinde nach draußen. Unwillig, denn ich habe nichts entgegen zu setzten. Menschen sind so… Unwichtig. So schwach. Ich will kein Mensch mehr sein.

Ich habe mit Katinka geredet, habe ihr Vorwürfe gemacht. Habe geschrien, Dinge durch die Gegend geworfen und massenhaft Zigaretten geraucht. Thomasso kam später hinzu, hat sich entschuldigt… für die Dinge, die er aussprach, dass ist mir wichtig… aber ich kann es ihn nicht sagen. Eine Träne auf seinem Gesicht. Aus Blut. Sie weinen blutige Tränen und irgendwie nimmt mir das die letzte Kraft.
Also sitze ich irgendwann da, wie eine leere Hülle. Singe immer wieder leise vor mich hin, dieses Lied, dass ich irgendwie für Katinka geschrieben habe. Ein Wahn, kein Sinn…
Sie ist bei mir, wir reden. Und ich glaube sie weint fast, als ich ihr sage, dass ich kein Mensch mehr sein will. Aber ist es Trauer oder Freude? Beides wohl. Und Sorge. Malekin kommt hinzu, und noch nie hatte ich weniger Angst vor ihm. Trotz all der Geschehnisse.
Die Beiden, zwei Seiten der selben Sache und beides liegt mir Nahe.
Sein kalter Wahnsinn und ihre warme Verrücktheit. Oder war es doch umgekehrt?
So viele Dinge liegen klar vor mir wie noch nie. Und ich empfinde mehr Liebe, als ich meinem Ziehvater je entgegenbrachte. Oder verwechsle ich dieses Gefühl mit der quälenden Sehnsucht, die ein Heroinabhängiger nach dem nächsten Schuss verspürt? Macht es einen Unterschied??
Ihre Hände liegen auf diesem Buch. Malekins Tagebuch. Malekin gleich Katinka und die beiden reichen es mir im stillen Einvernehmen. Und ohne Zögern greife ich danach, berühre sie… sie berühren mich… und dann ziehe ich es an mich… Und es gibt nichts weiter zu sagen.

Wieder dieses grelle Licht.
Ich öffne meine Augen und blicke an die dunkle Zimmerdecke. Schweiß auf meiner Haut. Kälte in mir. Hass und Wut. Angst. Meine Hand tastet nach dem kleinen Buch das neben mir auf dem Nachtisch liegt.
Mein Kopf ist krank.
Ich kann es nicht an mich nehmen. Ich kann es nicht loslassen. So schlafe ich wieder ein.

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