Anna und der Tod

Da sitzt ich nun, inmitten von Papierschnipsel.
Mittlerweile ist es Nacht geworden und die letzten Strahlen der  Sonne werfen einen ungenauen Schatten  auf das kleine aber feine Chaos das mein ‘Denken’ hinterlassen hat.
Im Hintergrund dudelt immer und immer wieder das Lied von diesem Musical….:”Wie wird man seinen Schatten los?”  Ich bin mir sicher, egal wie schön ein Lied ist, wenn man es nur oft genug anhört entwickelt man einen geradezu unnatürlichen Ekel davor. Ich kann es schon nicht  mehr ertragen. Läuft es zum 50sten mal, oder zum 100sten mal durch?
Ich sitzt hier wie gelähmt, betäubt.
Heute Morgen habe ich angefangen.
All die hübschen kleinden Gedichte oder Lieder.
Habe sie feinsäuberlich abgetippt und wieder ausgedruckt. In mehrfacher Version. In verschiedenen Formen.
Die englischen Texte in deutsche übersetzt.
Die deutschen ins englische.
Die ersten Worte fettgedruckt.
Nur die ersten Buchstaben fett gedruckt.
Jede zweite Zeile auslassend.
Rückwärts.
Gespiegelt.
Jedes zweite Wort fett.
Alles wieder klein.
Die Versform verändernd.
Da war es schon nach Mittag. Man will garnicht glauben wie relativ die Zeit wird, wenn man sich ausgiebig mit etwas beschäftigt.
Zuerst ist es ein Spiel.
Als ich noch schreibe im Spielen bin ich gut. Was denke ich mir eigentlich? Für wen halte ich mich? Diese vermaledeiten Texte sind mir ein Rätsel.
Irgendwann nehm ich den ganzen Haufen an ausgedruckten Exemplaren und verfrachte ihn in mein Wohnzimmer.
{“Wie wird man seinen Schatten los?”}
Ich verteile die Blätter um mich herum, taktisch… Wohl geordnet.
Gleiches zum gleichem.
Aneinander. Nebeneinander.
Aufeinander, überlappend.
Zugegebenermaßen hat mich ein gewisser Fanatismus ergriffen.
Ich kann die blöden Zeilen schon auswendig aufsagen und trotzdem wollen sie mir nicht verraten, was in ihnen steckt und es lässt mir keine Ruh.
{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie sagt man seinem Schicksal nein?”}
Ich knie in diesen Texten. Mit einem scharfen Messer schneide ich verschieden Wörter aus. Oder nur Buchstaben. Zeichen. Überall Zeichen. Dass ich dabei meinen Laminatboden geringfügig ruiniere ist mir nicht bewußt. Ich bin mir sicher. Wenn ich alles nur klein genug zerlege, bis ins kleinste Detail – dann MUSS ich es erkennen. Den Sinn. Die Aussage. Manche Verse drehe ich um. Hinter die Dinge sehen. Sagen sie dass nicht immer? Man muss hinter die Dinge sehen. Aber hinter den Dingen, ist nur weiss…weiss und sanft durchscheinende Druckerschwärze.
Zorn.
Alles von vorn. Ich räume alles auf einen Haufen und beginnen mit einer neuen Ordnung, vielleicht so. Von jedem Text, das erste Wort, nach einander. Dann von jedem Text das zweite. Einige Wörter sind ja schon zerschnitten. Aber ich fiesel sie zusammen. Akribisch.
{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie sagt man seinem Schicksal nein? Wie kriecht man aus der eignen Haut?”}
Meine Finger arbeiten schon ganz von allein. Flink. Spinn Rädchen, spinn. Ich muss an Katinka und ihren Märchen Tick denken und lache.
Katinka und die Brotkrumen.
Anna und der Tod.
Malekin und das Tier.
Thomasso und seine Gier.
Der Schlayer und das Leid.
Der Zorn der Brujah?
Sam und die gespaltene Zunge von Thomas….
So süß, wie lockend. Verlockend.
Der Samarita im schwarzen Tuch. Ein Fluch, nicht wahr?
Sie sind alle verrückt. Komplett. Durch die Bank,
Völlig durchgeknallt.
Spinn Rädchen spinn. Buchstaben, die sich schieben. Wörter, die sich bilden . Ordnung.
Nur ich bin normal. Ich bin die einzige, die erkennt, was für ein völlig absurdes Theater das alles ist. Was mache ich da unter ihnen? Bei ihnen?
Erinnerungen in meinen Kopf, die so nah sind, dass es nicht unechter ist, als das tatsächlich erlebte.
{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie sagt man seinem Schicksal nein? Wie kriecht man aus der eignen Haut?Wie kann man je ein anderer sein?}
Katinkas Gesicht im Fenster. Malekins Blick, nachdem Malfeis von ihm trank. Thomasso, als er über diesen Mann herfiel. Meine Hände die bluten, als ich mein eigenes Spiegelbild zertrümmere. Die Maskerade, in der Maskerade, auf diesen Elysien. Mein Körper. Über und über beschrieben mit SEINEN Worten. Der Verführer, wie er in sein Handgelenkt schneidet und mir sein Blut bietet. Ach ich schmeck es fast. Diese unfassbare Gefühl von Nähe. In mir brennt es, meine Kehle hinauf. Ich schluchtze und Tränen rinnen über meine Wangen. Malekin frisst Katinka, Katinka frisst Anna, Anna frisst….? So nah, als wär ich in ihnen, sie mir mir. Tränen auf den Texten, Buchstaben die verwässern. Tears on my pillow. Malfeis holt Malekin und der Wahnsinn ist greifbar. Als ich zum erstenmal fühle..nein weiss. Ich kann kein Mensch mehr sein. Nicht wieder.Meine Erhabenheit. Meine, ach wie tolle Stärke. Glauben zu Wissen. Wissen ist Macht. Merk dir das.
{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie sagt man seinem Schicksal nein? Wie kriecht man aus der eignen Haut?Wie kann man je ein anderer sein? Wen soll man fragen, wenn man sich selber nicht versteht? Wie kann man frei sein, wenn man seinem eigenen Schatten nicht entgeht?”}
Ich hebe meinen Kopf, kann durch die Nase schon nicht mehr atmen, weil die Tränen nicht aufhören wollen zu laufen. Das Fensterglas spiegelt meine Gestalt ganz sacht. So als wäre ich noch nicht wirklich. Aber ich weiss wie es geht. Es muss erst richtig Nacht werden bevor ich mich im Fenster erkennen kann. Solange es noch etwas hell ist, bleibt meine komplettes Ich verschlossen. Was für eine Lösung.
Anna im Fenster schiebt immernoch die Papierschnipsel herum, fanatisch ihren Blick darauf gerichtet. Völlig konzentriert. Die Anna in mir schreit, hebt ihre Hände gen Himmel. Tränenüberströmtes Gesicht. Sie nimmt das Messer und schneidet das Leid aus sich herraus.
Blut auf den Staben. Der Scharlachrote Buchstabe.
{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie lässt man alles hinter sich? Wie jagt man sein Gewissen fort?”}
Kann ich töten? Will ich töten? Kann ich NICHT töten?Zwiegespalten.
{”Wie flieht man vor dem eigenen ich?”}
Toth im Spiegel. Exakt. Überlegen. Unbeirrt ihr Ziel verfolgend. Stark und Stolz.
Und Anna im Chaos. Weinend, blutend. Schwach und unkonntrolliert.
Was ist echt? Was wahr? Was bringt mich weiter?
Um mich herum liegen, Verse und Wörter und Buchstaben. Getränkt in Blut und Tränen.
Hier sitzte ich nun, inmitten von Papierschnipsel.
Mittlerweile ist es Nacht geworden und die allerletzten Strahlen der  Sonne werfen einen ungenauen Schatten  auf das kleine, aber feine Chaos das mein ‘Denken’ hinterlassen hat.
Im Hintergrund dudelt immer und immer noch das Lied von diesem Musical….:”Wie wird man seinen Schatten los?”   Läuft es zum 50sten mal, oder zum 100sten mal durch?
Hier sitzte ich wie gelähmt, betäubt.

Ach wie eiskalt ist dein Händchen,
ach wie traurig ist dein Blick,
graut dir etwa vor dem Leben?
Komm zieh mit uns,
komm zieh mit uns in Krieg.

Durch die dunkle Nacht läuft ein kleines Mädchen,
weiß nicht recht warum, und nicht wohin.
In der Stille von tausen bunten Träumen
liegt doch sowieso kein Sinn mehr drin.

Das Papier, weiss wie Schnee, rot wie Blut, ihr Haar so schwarz wie Ebenholz.
Katinka.
Träume ohne Sinn. Oder Doch? Visionen. Ich finde Katinka in diesem Gedicht. Tausend Beweise dafür.
Ich lache und betrachte mein Werk. Alles so klar auf einmal.

Fuck their expectations
You're the only one who reigns
Create your own thing
Don't care if they say you won't succeed

Ich bilde mir das nicht ein. Die Worte die ich lese werden gesprochen, von Wolfenstein. Niemanden etwas schuldig oder?

Hellfire rages in my eyes
Blood will fall like rain this night
The coming curse, the anti-Christ, I am the Watcher's eye
I vindicate and cleanse the Earth of all mankind

Thomasso, teurer Freund, spricht über die Vampire, sagt mir die Wahrheit, warnt mich und fasziniert mich im selben maße mit diesen Grausamkeiten. Spricht von dem was ich in Malekins Augen sah.

The voices are calling
Out of this life, I'm falling
There is one choice, that I see
In raging flames, The Dark One awaits

Existence of one man
Hatred with no end
My madness, my sadness
I am my own savior
Malekin.

{”Wie wird man seinen Schatten los? Wie lässt man alles hinter sich? Wie jagt man sein Gewissen fort? Wie flieht man vor dem eignen ich? Wie kann man flüchten, wenn man sich selbst im Wege steht?”}

Meine Euphorie über meine vermeitliche Erkenntnis verebt. Es ist nicht wichtig. All die Warnungen, die Zureden, die Hilfe Angebote, die Verlockungen, die Liebe, die Angst und der Hass. Hate ist just a four letter word. Alles völlig egal. Ich fühle mich mich Bastian Balthasar Bux in der unendlichen Geschichte, der alles erlebt, nur um erkennen zu müssen, dass es nicht um das Ziel geht, sondern um den Weg. Der Weg ist das Ziel. Ich könnte kotzen.
Mich würgt es in der Tat.
Die Klarheit, die sich in mir ausbreitet, verhöhnt mich. Von Anfang an. Von Anfang an hätt ich es wissen müssen. Hab ich es gewusst. Wozu mich gequält? Wozu gelitten?
Some Kind of masochism?
Toth im Spiegel nickt zufrieden und kehrt zu mir zurück.

Wie kann man flüchten, wenn man sich selbst im Wege steht?
WIE kann man flüchten, wenn man sich selbst im Wege steht?
Ich will nicht flüchten. Ich will mir nicht im Wege stehen.

Die Papierschnipsel liegen weiss und unbefleckt um mich herum.
Ich lächle sanft.
Ich bin die einzige, die noch normal ist.
Die einzige mit gesundem Menschenverstand.
Ich nehme das Messer, setzt es an meinem Handgelenk an und zwinge die Klinge durch die Haut.
Es tut erbärmlich weh.
Blut quillt sogleich aus dem Stich.
Will ich ein Monster sein?
Noch ein Stück tiefer. Fast sehe ich, wie das kalte Metall in mir durch das Fleisch, die Sehnen, die Adern dringt.
Will ich töten?
Darf ich zulassen, dass sie mich töten?
Mir meine Menschlichkeit nehmen?
Mir meinen Verstand rauben?
Ein Brennen, meine Hand fühlt sich taub an.
Diesmal tropft echtes Blut zu Boden.
Wir sehen uns im Fenster.
Wir sehen uns im Spiegel.
Will ich ein Tier sein?
Will ich das Tier in mir kennenlernen?
Früher oder später……..grinst das Tier…
Ich lache unhörbar, ziehe das Messer aus meinem Unterarm und trinke was ich mir selbst gebe. Ich hasse diesen Geschmack. Aber die leise Ahnung, dass es das wichtigste sein wird für mich, lässt mich schlucken…solange bis meine Quelle versiegt.
Dann übergebe ich mich.

….gehörst du mir!

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