Pulverturm

6.11.2002
 
Wach auf.
WACH AUF!!
Welches Buch möchtest ……?

WAH!!!
“NEIN!”
Mich reißt es aber so richtig hoch.
Wo ist das Herzklopfen, wenn man so radikal aufschreckt?
Hinter meiner Stirn tickert es. Lauert es. 30 Bücher die gelesen werden wollen. Wenn ich heute nicht rauskomm', dann flipp' ich wirklich aus! Ich muss unter Leute. Sitze hier die ganze Zeit und tu NICHTS. Oder? Vielleicht sollte ich mal in meiner Arbeit Bescheid geben, dass ich krank bin. Krank!! Bah. TOT.

Sehr geehrter Herr Denk, ich kann heute leider nicht zur Arbeit erscheinen, weil ich kürzlich verstorben bin. Liebe Grüße, Anna.

Oder hab ich mich schon unpässlich gemeldet? Wenn ich's nur wüsste.
Tanzen. Ich werd tanzen gehen. Wenigstens ein Stündchen. Solange halte ich schon aus. Solange bleibe ich in der Wirklichkeit. (in welcher?). Ich muss wirklich raus. Ich bin doch kein Tier, dass man über Tage hinweg einsperren muss. ( Wie heißt noch dieses Wort? Selbstverleumdung?)
Fühle mich stark genug, um Nicht zu Denken und noch genügend Kraft über zu haben, mich zu bewegen. Und vielleicht…vielleicht…was…warmes? (Gier bestimmt dein ganzes Leben, Gier erfüllt dein ganzes Sein!)
Sie sagt nicht, ich soll gehen.
Sie sagt nicht, ich soll nicht gehen.
Sie sagt nicht, sie kommt mit.
Sie sagt nicht, sie kommt nicht mit.
Was sagt sie denn?
Ob sie mich machen lässt, um zu sehen, ob ich das Richtige mache?
Was ist denn das Richtige?
Tu was du willst…oder?
Traditionen. Aber ich kann nicht so recht unterscheiden, ob sie sie gerade rezitiert hat, oder ob ich mich nur daran erinnere, dass sie sie mal gesagt hat. Sprech' ich überhaupt mit ihr?
Man könnte wirklich verrückt werden, bei all dem Wahnsinn.
Die Öffentlichen bringen mich an mein Ziel. Pulverturm. DORT falle ich mit meiner Blässe sicherlich nicht auf. Ha ha. Autofahren spar ich mir noch. Man stelle sich vor, ich würde mich im Ampelrot vergessen, die Polizei käme und ich müsste denen dann erklären, dass das Wabenmuster, auf der Linse des Lichts nicht gleichmäßig ist. Da könnt ich dann gleich Malekin direkt besuchen gehen. Er ist doch oft im Irrenhaus oder? Im Irrenhaus. Mich befällt kurzfristiges Mitgefühl. Wie viele von Ihnen sind dort irrtümlich? Irr-tümlich. Ha ha.
Ich geb's zu. Ich bin beschwingt. Tanzen wird mir Glück schenken.
Als ich eintrete, in den dunklen vernebelten Raum, laufe ich fast gegen eine Wand. Soviel
Soviel….

AHA! Hab dich schon vermisst. Die Auswahl ist groß. Wähle!
Welches Buch….?

“Katinka!” Flüstre ich. Oder wars doch Malekin? Es kostet mich einige Minuten, bis ich die gesamte Wucht der Eindrücke runter gekämpft habe. Ich ignoriere sie! So! Auf Andere muss ich wohl, doch eigentümlich wirken. Etwas verkrampft. Walkin in my shoes…sag ich da nur. Wenn mir einer das nachmachen kann, dann darf er meckern. Apropos nachmachen. Ich sollte atmen nachmachen.
Dann lese ich doch ein Buch. Es heißt Tanz. Bewegung. Eine Abhandlung die sehr gut mit Musik zusammenpasst. Während ich mich dieser Lektüre widme, entspanne ich mich. Wenn ich lese, muss ich mich nicht darauf konzentrieren nicht zu lesen. Klar oder?  Stromstöße, über Nervenbahnen.. Angeregte Muskeln. Welche sich zusammen ziehen und entspannen. Tausend Abläufe in jeder Sekunde, die mich in ihrer Gesamtheit tanzen lassen. Verloren in der Musik. Das Glücks gefühl ist nicht gestorben. Dieses Hingeben, das Lesen in diesem Buch. Das Wahrnehmen lässt mich innerlich ruhen. Das macht mich glücklich.
Aber etwas stört. Etwas stört mich.
Viele Menschen sind nicht hier.
Menschen… ( Warm!)
Der Männerüberschuss, sorgt dafür, dass Mann mich beobachtet.
Ja… Wo ich denn schon mal hier bin…
Ob ich darf?
Mir etwas…. Jemand lebendiges…genehmigen?
Es reizt mich. Nicht nur, weil der Hunger mich sticht.
Tanzen ist unwichtig. Mein Blick schweift über die Anwesenden. Abschätzend. Nach welchen Maßstäben ich abschätze, kann ich nicht sagen. Es ist ein zaghafter Versuch, mich anzupassen. Oder? Ein Mann, wird wohl das leichtere….der besser zu überzeugende Mensch sein. Einem jungen Blonden habe ich es wohl angetan. Der wird mit gucken gar nicht fertig. Ja. Super! Alle Bücher, bis auf eines treten völlig in den Hintergrund. Die restliche Welt auch.  Er ist sicherlich kaum älter als ich.  Seine Gesichtzüge sind ganz fein. Er wirkt verletztlich. Seine Haare, nicht ganz frisch gewaschen. Helle Haut. So hell, dass ich fast glaube die Adern darunter sehen zu können. Die Flüsse rauschen! Purpurne Flüsse. Augenringe. Ihn quält etwas? Mit einem Mal befällt mich eine fast mütterliche Zuneigung.
Lass mich von deinem Leid kosten!
Ich werde dich für kurze Zeit vergessen lassen.
Ihn will ich. Ihn und keinen anderen!
Über mein Gesicht legt sich ein Lächeln. Ein Lächeln, dass all die Gefühle ausdrückt, die ich in diesem Moment empfinde. Mitgefühl und Verständnis und Verlangen. Viel Verlangen. Mich giert es nach jenem. (…kann mich nicht wehren, mich zu verzehren, dich zu begehren, mich zu nährend an deinem Blut)
Es ist sicherlich ein bezauberndes Lächeln. Einladend.
Und jetzt? Kommst du zu mir?
Er sieht mich an wie ein Kaninnchen.
Nun gut. Selbst ist die Vampir Frau von heute.
Wenn du nicht willst (…dann brauch ich Gewalt ), dann geh ich halt zu dir.
Da mach ich den ersten Schritt….und der packt sich seine Jacke und rennt raus.
DER RENNT RAUS!!!!!!!
Ist schon beinah an der Tür.
Ja, soll ich da jetzt nachlaufen???
Ticker.
Tacker.
Er flüchtet vor mir.
Ticker.
Und dann fühle ich es. Wie es sich aufbäumt in mir. Laut lacht, und der Klang des Echos dieses Lachens ist so süß, so wahr, so grausam, dass ich zu leben beginne.

Lauf!
LAUF!
Du bist schneller als er.
Du wirst ihn erwischen, noch ehe er irgendwo in Sicherheit ist.
Er wird deine Schritte hören. Obwohl er dich nicht kennt, hat ihn sein Instinkt vor dir gewarnt. Darum riecht er so gut. Er hat Angst.
Lauf! Er wird ausser Atem sein. Er wird genug für euch beide atmen. Er wird für dich atmen, was du nicht mehr atmen kannst.
Du wirst ihn schnappen und zurück reißen. Sein Herz wird vor Schreck stocken. Einen Schlag aussetzten. Deine Hand wird in seinen Nacken gleiten und sich darum legen. Er wird starr sein. Wie ein Karnickel.Zittern. Und noch bevor er weiß, was ihm geschieht, schlägst du deine Fänge in sein Fleisch. Roh. Vergiß das leise Klicken, wenn die Haut zerbricht, wenn du dafür die süße Melodie seines Schmerzes schmecken kannst. Du wirfst ihn zu Boden. Bist über ihm. Du wirst seine Seele suchen und sie in dich aufsaugen, bis er in deinem Arm sein Leben aushaucht!
Ihn schinden, Dich finden!
LAUF!!!

Einen Schritt. Wenn ich nur einen Schritt tue, um ihm zu folgen, dann gibt es kein zurück mehr.
This is the Point of no Return, isn’t it?
Dann gehört er mir.  Dann jage ich. Dann erlege ich. Dann töte ich. Ein kleiner Schritt. Nur noch dem Ziehen meines Körpers folgen. Nur meinem Gleichgewicht einen Schubs geben. Wenn ich jetzt nachgebe, dann werde ich immer nachgeben. Ich werde keine Bücher mehr lesen. Ich werde sie schreiben. Ich werde leben. (… und töten töten töten)
Er huscht durch die Türe.
Jetzt.
Jetzt muss ich los. Hinterher.
(Malekin et Katinka, die neben mir knien, ihr Tagebuch in ihren Händen. Sein Blick auf mir und er fragt:                         )
(Kannst du töten?             Ja)
(Kannst du nicht töten?        )
Ich blintzle.
Es zieht sich zurück. Wiederwillig seine Klauen in mich schlagend, auf dass ich seiner nie wieder vergesse. Und es war nur ein kurzer Besuch. Ich glaube, fast nur ein Höflichkeits Hallo. Meine Knie werden weich. Mein Magen dreht sich. Jemand zieht mir die Seele aus dem Rückenmark. Mir wird schwindelig.
Keine Kontrolle.
Hundert  Bücher, die sich aufschlagen, und gnädiger Weise, da ich gerade nicht fähig bin zu lesen… Sprechen. Von sich erzählen. Ein jedes in seiner Sprache. Alle auf einmal. Ich dreh durch. Halbblind. Halbtaub kämpfe ich mich raus.
Taxi?
 

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