Schlaf

17.11.2002
 
Erinnerst Du Dich an Deinen Tod. Toth. Malekin?
Die Sonne geht bald auf, es wird Zeit schlafen zu gehen.
Leg Dich nieder. Ich habe …
Ja. Ein Buch.
Ich lese es Dir jeden Morgen vor. Es heisst sterben.
Denn Du stirbst mit jeder Morgendämmerung.
Bist Tod solange die Sonne Leben schenkt.
Und erwachst mit jeder Nacht.

Erkenne, dass ich es bin, was du willst –
Denn ich werd nicht mehr geh’n.
Erkenne, dass Du mir ausgeliefert bist
Und lerne mich zu versteh’n.
Ich schenk Dir Frieden, ein sanfter Traum
Ich werd Dir helfen, schenk’ mir Dein Vertrau’n.
Oder?
Schlafe Jetzt!

Dunkelheit. Ich schlafe wie eine Tote. Wie witzig. Aber wenn ich schlafe…wie kann ich mir dann Gedanken machen? Sollte ich nicht einfach – Nichts tun? Denke ich jeden Tag, während ich tot bin? Und vergesse wieder? Vielleicht denke ich jeden Tag, das gleiche. Oder ich bin wach, und glaube nur zu schlafen. Oder ich lebe noch und träume nur tot zu sein. Ich bin in mir allein. Keine Bücher. Das ist – seltsam.  Obwohl sie mir Unbehagen bereiten, mich quälen und in jeder Sekunde meine Aufmerksamkeit erfordern. Fehlt etwas, wenn sie nicht da sind. Wie ein hässlicher krummer Buckel, man lernt sich zu ducken und selbst wenn er verschwindet ist man nicht mehr frei genug, um aufrecht zu gehen. Some kind of masochism? Was für Blödsinn in meinem Kopf.

Mir träumt von dem jungen Mann, von dem ich nicht getrunken habe. Den ich nicht gejagt habe. Das Tier hat ihn für mich erlegt und macht mir ein Geschenk. Wie lieb. Es steht im Dunklen und hält den Körper mit beiden Hände vor sich. Für mich. In der Mitte vierer Säulen. Über mir. Ich stehe darunter im Grase und sehe andächtig auf. Lesen muss ich nicht, dennoch nehme ich alles ganz klar wahr. Kühle Feuchtigkeit unter meinen nackten Füßen. Der volle Mond, der über dem Dreieck steht, sich in meinen Augen spiegelt und die Wahrheit in blasses Licht taucht. Wahrheit? Welche Wahrheit? Der dargebotene Leib ist noch warm. Ich kann es fühlen, riechen. Ich will mich danach strecken, ihn an mich reissen und leeren. Das Tier weiß es und ich weiß, dass ich nichts tun darf. Geschöpfe der Nacht, ans Licht gebracht. Ach gib mir! Ach füttre mich! Man darf nur töten was man wirklich liebt. Alles andere ist unehrlich. Warum? Doch noch weiter. Ich darf nur trinken was ich liebe. Wie kann ich jede Nacht von Neuem lieben? Muss ich doch jede Nacht aufs Neue trinken. Verwirrung.
Darüber werde ich nachdenken müssen. Wenn ich es finde, werde ich das Buch Liebe lesen. Um zu verstehen. Das Tier nickt – wie ruhig es sein kann –  hebt  sein Geschenk empor, als wolle es einen Segen sprechen. Dann schlägt es seine Fänge in den Bauch des Mannes, reisst eine grauenvolle Wunde, deren Anblick mich gleichermaßen anzieht und abstößt. Sein Inneres offenbart und Anna in mir erschaudert und wendet sich angewidert ab. Warum so grauenvoll? Warum nicht leise und zärtlich?
(Nur wer grausam ist , kann zärtlich sein. Nur wer hasst, kann lieben. Oder?)
Wie sehr muss es lieben, wenn es so grausam sein kann?  Es bereitet mir Kopfschmerzen. Anna besänftigt mich und wir beide beobachten, wie sich die Bauchhöhle mit Blut füllt. Unser Körper bebt. Und die Gier fügt uns zusammen. Die Gier lässt uns sterben. Mit quälender Langsamkeit, kippt es den Kelch und gibt mir mein Leben wieder.
Alsoh – schließe ich meine Augen. Erwarte der Mutter zärtlichen Kuss. Und sie küsst mich auf die Stirn.
Plitsch. Platsch. Regentropfen die an mein Fenster klopfen.
Blut das klopft, in mein Angesicht tropft.
Vom dritten Augen, rinnt es sorgsam hinab. Aus meinen Augenwinkel weint es, liebkost meine Wangen und sammelt sich zwischen meinen Lippen, wie ein Gedicht, das gesprochen werden will. Gegrüssest seist du Kind Anna, voller Gaben, du bist geweiht unter den Frauen und geweiht ist die Sucht deines Leibes Malekin. Verzückt kostet meine Zunge von dem Gedicht.
(Also steh' ich vor dem Spiegel anbei meinem Bild des vollen Mondes Schein,
erfüllt von der Stärke meines Willens bin ich alle und allein
So denk ich die Worte So schreib ich die Worte So sprech ich die Worte
durch Wahrheit erkannt,hab ich es erlangt
vom Herzen ersehen, kann ich es verstehen
durch Schmerz erbracht, erfüllt mich die Macht)
Ein Quentchen nur. Ein Wörtchen nur. Eine Silbe. Erfüllt meinen Körper. Was will ich mehr? Ich BIN eine Göttin. Oder? Egal. Gib mir mehr! Mehr Blut, mehr Leben.
Wie es sich über mir ergießt, wie es auf meine Lippen tropft, an meinem Kinn hinabfließt, den Hals entlang, zwischen meinen Brüsten hindurch, meinen Leib mit rotem Tuch bekleidend. Kein Wahn! Ein Sinn! Ich  räkel  mich unter dem Tropfenden Leib, und anstatt das der Lebensfluß  versiegt, verstärkt er sich, besudelt mich – ich lache, öffne meine Lippen und trinke gierig…
Das Tier hält den Leib einer Frau über mich.
…guuuuuuut schmeckt sie, die kleine süße Maus, höre ihre Schreie, der Klang ihrer Stimme, so lieblich wie Honignektar, so sanft – streichelnd, meine Kehle hinab…hinab hinuter, ihr Leben geht unter und in mich rein. Ihr kleiner Körper in meiner Hand, in meinen Händen ihr Leben, ich könnts ihr geben. Ich könnt. Ich muss. Schluss!
Alsoh – öffne ich meine Augen.
Ich finde mich selbst, vor einem roten Sessel wieder. Dahinter der Spiegel. Ich erhebe mich in aller Seelenruhe und beobachte was geschieht. Katinka nimmt mich an der Hand und läuft mit mir raus. Wie zwei Verliebte. Das Tier folgt ihnen. Anna bleibt zurück und sieht mich durch den Spiegel fragend an. Traurigkeit in ihrem Blick. Sanftheit. Verletzlichkeit. Menschlichkeit. Sie ist sich wohl bewußt, gestorben zu sein. Sie hat erkannt. Und ich beneide sie darum. Sie fürchtet die Lust an dieser neuen Macht. Fürchtet die Gier und das Tier. Wie schwach. Wie klein und hilflos – und mein wertvollstes Kleinod. Bitterkeit. Ich erkenne und bitte sie demütig mir zu folgen. Was bedeutet schon Macht, wenn sie nicht durch eine liebende Hand geführt wird ?

Wach auf!
WACH AUF!
Erinnerst Du Dich….
Ärgerlich wische ich die Stimme aus meinen Gedanken. Fühle mich gerädert. Geht das? Kann man als Vampir unausgeschlafen sein? Ich glaube fast. Es ist wie früher. Eine dieser Nächte, in denen man die Augen schließt und eine Sekunde später die Augen wieder öffnet, um festzustellen, dass die Nacht vorbei ist und der Schlaf, in dem man sich erholen hätte sollen, in einem Dimensionsloch verschwunden ist. Lustige Gewohnheiten die man nicht los wird oder wie? Irgendwie fühle ich mich – eigenartig. Zum erstenmal, seit meinem Tod, nehme ich den Hauch einer seltsamen Traurigkeit in mir wahr. In den vielen rastlosen Tagen, hatte ich nie Bedenken, ob dass, was ich geworden bin – Recht ist. Jetzt liege ich hier und fühle mich schmutzig. Was ist passiert? Ich muss mit Katinka reden. Ich glaube, ich habe nicht ein vernüftiges Wort mit ihr gewechselt. So nah und so weit weg. In meinem Kopf pocht es, als hätte ich Kopfschmerzen. Sagte nicht irgendjemand, irgendwann, wenn man tot ist, wäre es vorbei mit den körperlichen Gebrechen. Ich glaub’ der hat gelogen.
Um mich herum stapeln sich die Bücher. Ich habe heute keine Kraft sie zu ignorieren. Keinen Nerv zu widerstehen. So weich, so schwach. Ich  sollte etwas zu mir nehmen.
Noch bevor ich meine Augen öffne, wähle ich einige Bücher aus und beginne zu lesen. Nebenher. Meine Aufmerksamkeit, wird wohl etwas darunter leiden, aber es fühlt sich….irgendwie homogener an. Das Lesen kostet mich keine Kraft, nur das Nicht-Lesen.
Anna ach Anna, was soll ich mit dir machen?

 

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