Essen und Essen

03.12.2002
 
Klopf Klopf.
Aufwachen.
Ein Lächeln auf meinem Gesicht. Freude.
Mit erwachenden Bewußtsein wähle ich die Bücher, welche sich höflich anbieten.

Ich stehe mit Katinka in einer alter Wohung, alles verstaubt, als wäre es schon lange nicht mehr benutzt worden, als hätte jemand vergessen, dass er hier lebt. Geschirr, dass so tut, als wäre es eigentlich noch in Gebrauch. Eine sympathische Form von Unordnung. Bilder, Kleidung, ein ungemachtes Bett…wir stehen in einem ganzen Leben und beginnen uns darin umzusehen. Ein Geschenk, wir haben ein Geschenk bekommen. Jemand, der für uns fühlt hat uns den Schlüssel zu seiner Vergangenheit überlassen. Es dauert lange bis ich in dem was ich hier sehe, jenjenigen finde den ich kenne. Wir sprechen nicht. Unsere Hände wandern über die Gegenstände, hinterlassen Spuren im Staub… Spuren in seiner Vergangenheit… Wenn die Ereignisse in unserer Vergangenheit uns den Weg für die Zukunft weisen, was tun Katinka und ich dann gerade? Obwohl es an und für sich, einfach nur eine verlassene Wohnung ist, bewegeng wir uns, als wären wie an einem heiligen Ort. Ich bin hingerissen. Fotos. Ach du Schreck. SO sah er aus????
Ich blinzle.

Thomasso sieht mich an. Gerade noch sehe ich sein Gesicht auf diesem Foto und jetzt sitzt er mir gegenüber an diesem Tisch, bei diesem Italiener. Zu meiner Linken Katinka, die einen Schlüssel zurückgibt, der nicht uns gehört. Waren wir gerade eben dort, wo ich gerade eben noch war, oder war es gestern und ich bin heute? Ich lächle pauschal. Ich freue mich. Glück.
Man reicht uns die Speisekarte und ich blicke darauf. So viel leckere Sachen. Aber das Wasser will mir im Munde nicht zusammenlaufen. Mein Blick wandert von der Karte, zu der Tischlampe, zu allen anderen Tischlampen… Wie die leuchten können, nicht alle gleich hell…irgendwie, und wenn man seine Augen ein wenig zusammenkneift, dann wird das Dunkle dunkler und das Helle heller…und wenn man das lange genug macht, dann sieht das Restaurant aus wie ein Sternenhimmel.
“Für was hast du dich entschieden?” Fragt Thomasso und ich blinzle. Ein Schalk in seinen Augen und ich weiß schon was er denkt. Vor gut nem halben Jahr hab ich mich köstlich darüber amüsiert, wie er und Katinka begeisterungslos das Speiseangebot unter die Lupe nahmen. Ja ja. Alles rächt sich. Wir reden über, alles möglich, ich bin nicht immer ganz bei der Sache, gibt so viel zu sehen. Aber ich glaube im gro mach ich mich ganz gut. Ich bin durchaus anwesend. Ich freue mich so sehr die beiden lieben bei mir zu haben. Ich fühle mich absolut wohl, bis zu der Sekunde, in der dieser Kellner ein neues Buch bringt.
Es liegt vor mir auf dem Tisch und schlägt sich von selber auf. Geruch. EKELHAFTER Geruch. Das soll ich essen? Wessen dumme Idee war das? Meine bestimmt nicht. Man stelle sich vor, ein junger Mann würde mich romatisch zum Essen einladen… Dem müsst ich im Affekt ins Gesicht springen…. Innerlich kicher ich… Ich müsste ihm tatsächlich ins Gesicht springen…zumindest beinah. Egal. Ich werde DAS auf alle Fälle nicht essen. Masquerade wahren hin oder her. Das hat alles seine Grenzen. Ich widme mich lieber dem Gespräch. Und dem Restaurant. Das Buch Essen, as far as possible, ignorierend.
Aber Thomasso ißt.
Aber Katinka ißt.
Und sie lächeln dabei. Plaudern. Die beiden sind mir unheimlich. Echt! Der Kellner guckt schon komisch, warum ich das Essen nicht anrühre, ich füge mich meinem Schicksal, ersteche ein Stück Leber mit meiner Gabel und führe es mit einem absolut souveränen Lächeln in meinen Mund. Beisse. Zerbeisse. Ganz ruhig. Ganz gelassen. Zermahle. Schlucken. Ich muss das Schlucken. Ich…würge es hinunter, erhebe mich langsam, entschuldige mich für eine Sekunde und begebe mich in aller Ruhe auf die Toilette.
WAH….das ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen!!!
Das Gesicht waschen. Zurück. Ich hasse es. Die beiden schmunzeln. Jeder von ihnen kann sich erinnern, wie es für sie war. BAH.

Wie geschmackvoll hm?
Schmeckst dir? Soviele Gewürze. Das tote gebratet Fleisch – wie lecker. Es verteilt sich in deinem Mund – so falsch. Der falsche Geschmack. Willst es nicht lieber ausspucken? Den Teller nehmen und wegwerfen? Blätter weiter! Dein Körper windet sich innerlich? Will sich wehren, dagegen, aufzunehmen was er nicht mehr will? Nimm den Fisch aus dem Wasser und erklär ihm, um am Lande nicht aufzufallen müsse er reine Luft atmen. Du wirst an diesem Essen verrecken! Schaufel deinen Tod in die rein. ISS!

Ich blinzel.
Der Tisch ist leer geräumt. Ich habe aufgegessen. Mir ist SO schlecht.
“Wir sollten noch etwas vernünftiges Essen gehen!” Erklärt Thomasso. Déjà vue? Aber was vernünftiges hört sich gut an. Den faulen Geschmack aus dem Munde waschen. Wir zahlen nicht. Ich kenn das schon. Ich will das auch können? Katinka lächelt und Thomasso erzählt, von dem Können, das unsereins…. (Ja unsereins…du bist eins der unsren jetzt…)… So kann. Das gefällt mir. DAS gibt einem ganz neue Optionen. Daran hab ich noch garnicht gedacht. Ich bin jetzt auch in der Lagen, zu können. Nur was ich kann. DAS weiß ich nicht. Und wie lernt man das? Ein großes Thema.
Wir verlassen die Folterkammer und meine Laune bessert sich. Jagen. Haben sie gesagt. Vor meine Inneren Auge sehe ich gesichtslose Gestalten, die vor uns davon laufen. Wir hetzten sie, wir jagen sie.. Gemeinsam … Ich stelle mir vor wie wir sie erwischen und unsere Körper von dieser Vergewaltigung eben reinigen. Vergnügen. Auf dem Weg spielen wir verstecken. Eines von Katinkas Büchern. Auch das würde mir gefallen. Ich werde mir das alles durch den Kopf gehen lassen. Das Verstecken. Und das, wie zwinge ich anderen Leuten meinen Willen auf.  Schließlich stehen wir vor einer Haustüre. Vor einer Wohnung.
Katinka und Thomasso beschließen mir den Vortritt zu lassen. Ich solle doch mal machen, sie gucken zu.
Äh…Ähm…hallo? Wollten wir nicht Jagen?..In einer Wohnung?? Noch ehe ich mir so überhaupt sicher bin, was das alles werden soll, hab ich schon geklopft und so ein Kerle öffnet die Türe und sieht mich fragend an.
Ja was soll ich denn jetzt mit dem machen?
“Ja bitte?” Es ist nicht mehr die richtige Uhrzeit für Besuch.
HILFE!
“ Ich ähm, also…” Stotter ich rum und erkenne in seinem Gesicht, dass er das alles recht seltsam findet. Tu was! TU was!! “ Mein Auto ist stehengeblieben und bei meinem Handy ist der Akku alle und ich würde gerne mal telefonieren…ADAC.” Plappere ich, gehe frech an ihm vorbei, in seine Wohnung (Hier warst du schon mal nicht wahr?) Und lächle ihn fürchterlich offen an. “ Ich darf doch reinkommen”
Stirnrunzeln. Aber mich armes junges Dinge kann man ja nicht so vor der Tür stehenlassen. Vor allem wenn ich einfach an ihm vorbei geh. Er nimmt das Telefon, wählt die Nummer und gibt es mir. Während er geht , sich bewegt und tut, beobachte ich ihn. In mir tickert es. Ich kann den doch nicht einfach beissen. Wie sieht dass denn aus? Ich mein…er steht da..und ich geh hin und beiss? Das geht doch nicht! Ich komm mir dumm vor. Was für ein Vampir! Oh je. Ich habe den Anruft schon lange beendet. Tu so, als obs keine Verbindung gäbe und lächle entschuldigend. Wie komm ich denn jetzt nun an den ran?
Ah… Ich werde ihm einfach erklären dass er schlafen soll – die Sache mit dem Können – und dann trink ich…. Dann merkt er nichts.. Ja. DAS ist mein Plan.
Er will mit mir raus das Auto angucken. Aber ich will nicht, ich will ihn. Soviel ich klar.
Also guck ich zum ihm rauf und bemühe mich nach besten Wissen und Gewissen ihm meinen Willen aufzuzwingen.
“Du willst nicht hinunter.” Sage ich und sehe ihm höchst von meinen Worten überzeugt in die Augen.
“Nein?” Der glaub ich, hält mich für bescheuert.
“Nein. Du willst dich setzten!”
Sein Strinrunzeln in seinem Gesicht ist eine Frechheit. Habe fast den Eindruck, der lacht mich gleich aus.
“Wir sollten wir doch….”
“Nein” unterbrech ich ihn. “ Du setzt dich jetzt hin!” Ich bin ja wirklich von dem Überzeugt was ich da tu. Was soll ich auch sonst machen. “Du setzt dich jetzt!” Und er tuts. HA. Ich kanns! Ich bin der Held! Das Spiel gewonnen. Dein Blut ist mein!  Ich tret an ihn ran. Mein Plan wird funktionieren. Ganz sicher.
“Du willst schlafen!” Seine Augenlider flattern etwas und ich rede weiter….weiter auf ihn ein, sabbel sabbel  sabbel…solange bis er sich die Stirn zu reiben beginnt. Irgendetwas hab ich falsch gemacht. Hab ihn verloren. Aber was? Ich will  wirklich dass der schläft. Wie soll ich denn sonst von ihm nehmen?
“Sagen sie, kennen sie einen Herrn Kantner?”
Und mit dieser Fragen nimmt er mir so völlig jeden Wind aus den Segeln und ich stehe da wie vorm leeren Weihnachtsbaum.
“Wen?” Fiepe ich.
“Herrn Kantner, wenn er mit mir spricht…bekomme ich…auch immer…so…Kopfschmerzen..”
Kann nichts sagen. Will nicht Lügen. Was nun? Was tun? Panik. Ich sollte aufgegben. Egal. Trink ich halt nichts. Wenn ichs nicht bring, bin ich selbst schuld.Oder? (Aber in dir gierts nicht wahr?)
Er erklärt mir sehr bestimmend, dass es wohl doch die beste Idee wäre, dass Auto selbst anzusehen und ich habe dem Nichts entgegen zu setzten. Was er wohl sagen wird, wenn ich ihm kein Auto zeigen kann, dass nicht mehr funktioniert.
Ich bin frustriert.
Ich bin zu unfähig mich selbstständig zu ernähren.
Ich bin dazu verdammt, den Rest meines….oh Gott…wie lange dauert eigentlich die Ewigkeit?… Untoten Lebens aus PLASTIK Beutel zu trinken.
Könnt ich heulen, könnt ich heulen. Ich bin so………………….
Er schiebt mich aus seiner Wohnung, ich füge mich wie eine Puppe…und dann? Dann rieche ich es – Angst.
Mein Kopf wirbelt herum, ganz von selbst. Wie in Zeitlupe, sehe ich, wie er zurückweicht… Sein Gesicht… Darin spiegelt sich, was er fühlt…in seinen Augen… Augen die Spiegel der Seele…nein? Noch bevor er es tut, weiß ich , dass er die Türe hinter mir zuschlagen will. Er will mich aussperren…. Weil er sich fürchtet. In mir lacht es. Unendlich langsam, als hätte ich alle Zeit der Welt stelle ich einen Fuss in die Türe, die kracht dagegen und er versucht sie zu zu drücken. Ich bade in diesem Gefühl in mir. Meine Hand schiebt sich nach drinnen und krazt langsam und zärtlich über das Holz.
“ Hast du Angst?”flüstre ich. Ich weiß, dass es so ist. Ich fühle es. Ich kann es lesen. Durch die Holzwand hindurch und es erfüllt mich. Er erzählt etwas von wegen, es wäre wohl besser wenn ich jetzt ginge. Aber ich denk nicht im Traum daran. Kann mich garnicht entscheiden, was mir besser gefällt. Durch die Türe zu gehen, splitterndes Holz dass meine Körper liebkost  und mich an ihm zu heilen. Oder nur hier zu stehen und den Geruch zu lesen. Mir vorzustellen, wie es in seinem Kopf tickert. Die Schwingung in seiner Stimme ist Musik für mich. Lass mich rein.
Resignation. Ich weiß nicht,ob lange war oder kurz, aber schließlich gibt er nach und lässt mich wieder ein. Sichtbar gestresst. Mir ist es scheissegal, was er denkt. Ob er mich für verrückt hält. Was absurd ist oder nicht. Er murmelt etwas von etwas trinken und geht zum Spiritousen schrank. Ich lächle nur und nicke. Sehe ihn mit ganz anderen Augen. Alles um mich herum vergessend. Ich weiß was ich will, ich kenne mein Ziel. Als er sich vorbeugt, um die Getränke auf den Tisch zu stellen nehme ich, was mir gehört.
Ich blinzel.

Der Mann liegt auf dem Boden. Habe ich getötet? Kurze Panik. Nein. Ich war brav. Hab aufgehört. Katinka und Thomasso stehen da und sehen mich so an. Irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen. Was würde ich jetzt mit dem Mann machen, wenn ich allein wäre? Der würde doch glatt zu Polizei rennen und von der Verrückten erzählen die ihn des Nachts heimgesucht hat, und ich hätte die erste Regel gebrochen.
Keine Heldenhafte Vorstellung von mir und ich verstehe, dass ich lernen muss.
Thomasso korrigiert meine Fehler, ich beobachte ihn. Aufmerksam. Aufnehmend. Lernend. Noch immer ist ein Teil von mir vergnügt. Zufrieden.
Noch immer ist ein Teil von mir geplagt. Frustiert.
Töten wäre der einfachere weg…
Aber der einfache Weg ist nicht immer der beste …
Da tut sich ein Hoffnungs schimmer in mir auf.
Man muss das ganze doch perfektionieren können…nein?

 

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