Deadmenseyes

14.03.2003
 
Knock. Knock
Follow the white Rabbit.
Wach auf Neo!
    “…es liegt uns im Blute…verstehst du?”
Ich sitzte neben Thomasso auf einer Matratze. Wir reden.
Nicht weit von uns liegt eine aufgebahrte Leiche. Sorgsam verdeckt. Vor uns auf der hübschen roten Tischdecke ein Totenkopf. Ein Echter! Dieses Bild wird perfektioniert…durch silberne Arbeitsutensillien. Skalpelle. Sägen . Zangen. Flaschen mit Sinne betäubenden Inhalten. Eine Dosis Formaldehyd kann einem wirklich den Kopf vernebeln. Und ich weiß das. Ansonsten ist es kuschelig. Eine Arbeitsecke und eine Kuschelecke. Irgendwie fühle ich mich hier wohl. Der Geruch ist so vertraut. Ich lächle. Weil Thomasso hier ist, den ich mag…und weil wir reden und ich alle alle Dinge erzählen kann ohne dass ich mir Gedanken machen muss. Thomasso ist stark. Der verträgt das alles. Und ich lächle, weil wir im Keller eines Bestattunsinstitutes sind und ich mich meiner Arbeit entsinne. Das aufbereiten von Leichen. Der Vergewaltigung, wie Christopher dazu sagte. Heute verstehe ich mehr, was er damit meinte. Egal.
Ich nicke leicht. Meine Unterhaltungen sind bisweilen komisch.
Wenn ich mit jemanden Rede, schenke ich ihm meine gesamte zur Verfügung stehende Aufmerksamkeit…zumindest wenn ich ihn mag…und wenn ich ihn nicht mag auch…weil dann könnte ja was nicht stimmen und dann muss ich rausfinden was.. Aber weil in meiner Umgebung…immer so viele Dinge zu lesen sind… Bin ich automatisch abgelenkt…von tausend dingen. Mich stört das nicht, denn auch wenn meine Gedanken ein wenig fortschweifen verpasse ich wichtige Dinge für gewöhnlich nicht. Wobei  ‘wichtig’ natürlich eine Definitonsfrage ist. Das dumme daran ist, dass es verdammt unhöflich ist, nicht Aufmerksam zu scheinen…wenn man sich unterhält..insbesondere wenn ich denjenigen mag. Also spreche ich…und lausche ich..und lese ich..und achte obendrein darauf…dass ich auch den äusseren Anschein wahre, den eine gepflegte Unterhaltung erfordert.
Thema wichtig.
Da war mein Stichwort. Im Blute liegt es uns.
Thomasso hat mich um ein Treffen gebeten..nicht nur um mich wieder zu sehen…sonder auch um mir zu zeigen. Sogar Katinka hat er vorher gefragt und ich bin TOTH neugierig.
Anstatt mein Augenmerk auf seine Worte zu legen lese ich in seinem Gesicht.
Meine Güte.
Kindlichkeit…kindliches Vergnügen. Ich bin das Kind dass er nicht hat. Oder?
Glitzern…in seinem Blick. Er will Wissen weiter geben, sehen ob er lehren kann…sehen ob ich verstehen kann. Seine Mimik…leicht beherrscht…. Dennoch offen. Eine leichte Sorge..Unsicherheit ob es wirklich Gut ist mir ein Geschenk zu machen. Aber diese Stimme in ihm ist nicht laut genug um ihn abzuhalten…zu tun was er will.Zugeneigtheit. Wie Blind müsste man sein um das NICHT zu sehen. In jeder Berührung, in jedem Blick. Wehe jedem der mir böses will…und das erfüllt mich mit….Geborgenheit.
Was sagte er?
In den Augen des Totenkopfes lesen.
Faszinierender Gedanke. Ich erinnere mich. Früher… Soviele leblose Körper auf den Bahren. Soviele Geschichten Soviele Gesichtsausdrücke und alle haben sie geschwiegen. Keiner wollte mir sagen, was geschehen ist. Keiner von seinem Tod erzählen. Warum traurig. Warum friedlich.
Die Idee, sie verstehen zu können berührt mich. Das erzähle ich Thomasso…glaube ich. Und er erzählt mir. Von Dingen die er las…und dass man mit dieser Fähigkeit viel gutes tun könnte. Kurz frage ich mich, warum er mir das aus diesem Blickwinkel raus beschreibt. Bin ich so weich? Bin ich so gut? So lieb? Kein Tier in mir das böses tun will? Wie denkt er von mir? Aber dann bin ich schon friedlich…ich bin so menschlich wie Katinka, dass ist gewiss..nicht wahr?
Und ich wenn ich kann, will ich freilich gutes Tun. Und zu sehen, was die Augen eines Toten gesehen haben………wie faszinierend.
Ich halte den knöchernen Schädel in der Hand. Thomasso erzählt mir das Märchen dazu. Aber ich sehe nichts. Ich sehen nur zwei tiefe schwarze Löcher in einem gelblichen Haus.

Knock, Knock.
Follow a bad habbit.
Wach auf Anna!
    “…es liegt uns im Blute…es liegt mir im Blute…Anna!”

Vor mir steht der böse Wolf und bietet mir von sich an. Ich mochte den Wolf. Angst hatte ich in jener Nacht. Um Katinka. Mein schwaches menschliches Gemüt, so geplagt. Und der fürsorgliche Ravnos…so sehr um mich bemüht…gewillt mich zu stärken. Ich war so hilflos…nur darum….nur darum gab ich nach. Nur darum hab ich gekostet. Nicht weil mich der Gedanke fasziniert hat… Nicht weil ich einen ‘Freund’ in mir tragen wollte…nicht allein sein wollte. Nur eine Schwäche mehr nicht.

    “…vielleicht, wenn du von mir trinken würdest…”

Da ist es schon wieder…dieses Glitzern. In seinen Augen. In meinen Augen. Wie simpel ich bin. Wie erregend die Vorstellung mehr als ‘nur’ Menschenblut zu trinken. Aus freiem Willen geschenkt. Wie unartig! Von ihm trinken, um zu lernen…nicht wahr? Nur um eine Türe zu öffnen. Nur um ein neues Buch aufzuschlagen…. Und…nicht etwa, des Blutes willen. Nicht um ihn zu schmecken, zu kosten. Wie schmeckt ein Freund? So süß wie Katinka? So verführerisch wie der Wolf? So verzehrend  heiss wie die Feuer von Innen?
Ich möchte lachen.
Meine Welt verschiebt sich.
Eigentlich sitzte ich mit ihm auf dieser Matratze in diesem Raum und wir verändern uns….aber in Wirklichkeit…in der echten Wirklichkeit, war es ganz anders. Ich habe es gelesen…

…Anna  im Dunklen. Verschleiert in einem schwarzen Nebel steht Thomasso ihr gegenüber. Warm ist es. Nah ist es. Er macht ihr ein wortloses Angebot und sie lüftet den Schleier um ihn zu erkennen…zu lesen. Und sie liest. Lässt ihn sich auf der Zunge zergehen..von der Gier verwehen…verdrehen. Ihn hemmungslos trinkend…kann im Rausch versinken… Er wird auf sich achten…wird über sich wachen, wenn einer die Kontrolle hat, kann der andere Fallen. Und Anna fällt…und nimmt auf..und  schmeckt und weckt die Geister die er rief…ich schlief und dieses Blut es macht mich lebend..im Schmerz erbebend… Wir trinken voneinander…. Sein Biss bringt Leid und ist doch süß…DAS ist Leben…mehr als leben…wie fade alles andere scheint, was ich je kostete…ach nein..oh nein…nicht alles…aber…nicht viel…egal… Versiege niemals! …

Vorbei.
Hab ich genascht? War ich unartig? Schmeck dich noch in meinem Mund… Böse Anna! Gute Anna! Diablarie ist abartig nicht wahr? Katinka hats getan und es ist böse. Und Thomasso hats getan und es ist böse. Und Malekin hats getan und es ist böse. Böse Böse. Wie konnten sie nur? Niemals will und niemals werd ich…aber verstehen? Ich verstehs!! Ich fühls!! In meinem süßen Köpfchen tickert es und irgendetwas in mir löchert mich…stichelt mich an… Lehn dich an ihn!
Halte seine Hand!
Führ sie zu deinen Lippen!
Um von seinem Blute zu nippen!!
Nur ein bisschen noch!
Ich erinnere mich an jenen Traum, kurz nach meinem Tod. Als mir dieses Tier opferte und es sagte…ja ja…lieben muss man was man tötet.  Niemals würd ich verletzen wollen was mir lieb ist. Niemals würd ichs tun. Aber verstehen…verstehen kann ichs. Hat er von mit genommen? Oder geschieht das erst noch? Fühlte ich den Schmerz seines Kusses oder hat er mir nur davon erzählt? Haben wir uns verbunden obwohl wir uns schon nah sind? Denkt er auch darüber nach…wie es wäre….in meine Haut zu schlüpfen? Noch mehr von mir in sich aufzunehmen?
Ich streiche über meine Lippen und lasse dieses Gefühl in mir fließen.
Ich halte diesen Totenkopf in der Hand.
Die Märchentante ist ein Skelett und die Worte weilen in Ewigkeit.
Jemand streichelt sanft über meinen Nacken und es läuft mir kalt den Rücken hinab.
Zärtliche Liebkosungen die niemand sieht.
Nur für dich!
Erfüllt fühl ich mich.
Ich versinke im Tod. Gefangen. Verwoben.

    Es liegt dir im Blute, flüstert Thomasso in mir und jemand klopf und erzählt mir etwas von weißen Kanninchen und schlechten Angewohnheiten.
Wach auf!
Und sie öffnet ihre Augen und das Gefühl von Kälte in meinem Nacken wird für eine Sekunde so intensiv, dass ich zusammenzucke und in diese Welt zurück kehre.
Was ist geschehen?
Ich stehe Thomasso gegenüber…zwischen uns liegt die Tote. Jemand muss sie aufgedeckt haben…auf ihrer Stirn hat …ER…. In blutigen lettern… E-DIÄT gemalt. Ich weiß wohl wer die Tote ist. Ich weiß es und ihr Aussehen lässt mit erzittern, denn ich weiß wer mit ihr gespielt hat.
In ihr soll ich lesen.
Thomasso ist ein böser Lehrmeister…ein Guter.
Wenn ein Kind die Finger von der Herdplatte lassen soll, muss es gefühlt haben was HEISS bedeutet.
Und Thomasso hat den Ofen für mich angeworfen.
Und Anna blickt in tote Augen.
Film ab!

Er jagd.
Er verführt.
Er geht.
…und er kommt wieder. Derselbe und doch auch nicht. Ich habe Angst. Mir wird schelcht. Er tut Dinge, die er niemals tun würde. Ich will nicht mehr sehen und tus doch.
Grausamkeiten…leidenschaftlich und doch kalt. Sie scheinen mir nicht richtig. Nicht aus der richtigen Motivation…noch schlimmer…seine Beweggründen scheinen mir so falsch dass es mir den Magen verdreht. Dieses Wesen IST böse.
Dann schließt sie ihre Augen und ich hab mir die Finger verbrannt.

    “Verstehst du warum ich dir das zeigen musste?”

Ich bin daneben. Wir sprechen noch. Thomasso und ich. Und ich glaube ich wahre gut den Schein. Nein? Ich soll mich  fernhalten. Warum muss ich mich immer von Menschen…ach….von denen Fernhalten, um die ich mich sorge. Am Ende wird man mir noch erklären ich solle mich von Katinka fernhalten.
Warum passieren solche Dinge?
Warum ist der Wolf vom Sabbath?
Warum sitzt in Thomasso Antonio?
Warum ist Georges so graumsam?
Warum tun sie mir das an?
Tick. Tack.
     “Warum glauben sie dass diese Dinge von mir ausgehen. Ist es nicht vielmehr so, dass sie sich um sie drehen. Dort sind, wo sie sind? ” Ein Wald voll Bäume.
Mea culpa???

In mir bäumt sich alles auf, ich habe das Bedürfnis zu kotzen und blicke Thomasso freundlich an und verspreche ihm keine  Dummheiten zu begehen. IHM auf keinen Fall zu folgen…nicht allein. Zwiegesichtig. Ich existiere gleichzeitig. Das Innere und das Äussere.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mehr von Thomasso trinken will.
Ich empfinde tiefe und echte Freude, dass es Menschen gibt dir mir ehrliche Zuneigung entgegen bringen.
Ich habe Angst vor Georges und würde nicht zögern ihn schützend in meine Arme zu schließen wollte ihm jemand etwas böses.
Ich fürchte um Katinka und weiß nicht warum.
Ich bin total normal und habe schlechte Träume von Geistern in meinem Nacken und zerfleischten jungen Frauen.
Ich habe Herzklopfen und möchte jetzt nach Hause gehen.
 

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