Schneemann

30.05.2003
 
Vergewaltigung.
Das ist das einzige Wort das mir dazu einfällt.

Ich war in einem Park. Wir trafen die beiden, die fehlten, damit wir sieben sind. Sieben Geißlein und kein Uhrkasten weit und breit. Sei lustig Anna. Ein Spaziergang unter Freunden. Gleichgesinnten. Nicht von, aber wie dein Blut. Verbundenheit? Nein?
Wir bleiben zusammen, müssen zusammen bleiben, damit uns die Anderen nicht finden. Wir verstecken uns gegenseitig und wir verstecken uns selbst – ohne uns zu verlieren. Verblüffend.
An der Stadtmauer entlang, in der Ferne sehen wir die Zinnen des Hexenturms, Gänsehaut. Erinnere mich an Katinkas Märchen.

[„Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Josef. Er war ein besonderer Junge, auch wenn er ganz klein und dünn und unscheinbar aussah. Aber seine großen, dunklen Augen konnten Dinge sehen, die andere nicht sahen. Josef war der Sohn eines Königs. Der König hatte noch viele andere Kinder, und er fürchtete, dass sie eifersüchtig auf Josef sein würden, wenn sie merkten, das er etwas Besonderes war. Und er wollte keine Streitigkeiten unter seinen Kindern. Also schickte er ihn weit fort, in ein abgelegenes altes Haus mit einem hohen Turm, wo er ganz alleine war. Aber Josef war ein bescheidener Junge, und er war glücklich, niemanden zu stören, und seinen Unterhalt mit Schafe hüten zu fristen. In der Nähe des Hauses gab es einen wunderschönen See, und manchmal nahm Josef nachts ein Bad und lässt das Wasser seine Haut benetzen, lässt sich von den kleinen Wellen zerreisen, treibt in tausend Scherben im Wasser, versinkt und erblickt im Zerrspiegel des Wellenschlages…
 Lange Zeit lebte Josef glücklich und allein mit seinen Schafen. Der König zog seine anderen Kinder groß, und auch sie lebten glücklich und zufrieden. Bis eines Tages ein anderer Sohn des Königs von Josef erfuhr. Er fürchtete, dass Josef wieder auftauchen und ihm sein Erbe, den Thron streitigmachen könnte. Deshalb machte er sich auf die Suche nach seinem Bruder, um ihn zu töten. Zur gleichen Zeit geschah es, dass ein fahrender Ritter durchs Land zog. Er war ein gelehriger Mann, achtete Mensch und Tier gleichermaßen, und war stets bemüht, sein Wissen zu mehren. Auf der Suche nach seinesgleichen war er schon an vielen fremden Orten gewesen und hatte die seltsamsten Dinge erlebt….
Eines abends gelangte der Ritter an ein abgelegenes Haus mit einem hohen Turm. Vor dem Haus standen Schafe, und weil der Ritter ein höflicher Mann war, zog er seinen Hut und begrüßte sie. 'Guten Abend, liebe Schafe. Ist dieses Haus bewohnt?' Drei Schafe kamen zum Wegrand, um ihn zu begrüßen. 'Josef', mähte das erste Schaf. 'Josef', blökte auch das zweite. 'Josef', stieß das dritte hervor, und es klang für ein Schaf sehr besorgt.
Wenn die Schafe den Namen ihres Hirten aussprechen, so muss das ein sehr besonderer Mann sein, dachte der Ritter bei sich. Ich will sehen, ob ich nicht etwas von ihm lernen kann.
'Wo ist euer Herr?', fragte er die Schafe, doch ihre Antwort war ein Muster, das er zunächst nicht erkennen konnte, denn er wußte nichts von dem See, und sie konnten ihm nicht mehr sagen, ist doch ein Geheimnis…
Also betrat der Ritter das Haus mit dem Turm, und begann nach Josef zu suchen. Er lief durch die langen, dunklen Gänge und sah in jedes Zimmer. Viele Wände waren mit wundersamen Bildern bemalt, und erzählten Geschichten, die den Ritter mehr und mehr davon überzeugten, dass er diesen Josef unbedingt kennenlernen musste. Doch dann fand er eine Zeichnung, die ihn sehr beunruhigte, denn sie war von jemand anderem, und sie war nicht schön und geheimnisvoll und klug und sanft, sondern klar und deutlich und bedrohlich: noch jemand war hier, und er wollte Josef nichts gutes.
Daraufhin nahm sich der Ritter keine Zeit mehr für die Wandgemälde, sondern lief so schnell er konnte von Gang zu Gang und von Zimmer zu Zimmer, und er glaubte Schritte von schweren Stiefeln hinter sich zu hören, die ihn verfolgten. Schließlich fand er das Zimmer, in dem Josef schlief, mit einem schlichten Bett und ein paar kargen Essensresten, und Spuren von einem Kampf. Er war zu spät! Doch er war ein Ritter, und Ritter geben nicht so leicht auf. Er verließ das Zimmer und dachte angestrengt nach. Wo würde er in diesem Haus hingehen, wenn er nicht gefunden werden wollte? Und weil der Ritter sehr gut nachdenken konnte, fiel ihm sofort der hohe Turm ein. Eilig lief er nach draußen und gelangte an den Fuß des Turmes. Dort oben brannte Licht! Um nicht sofort entdeckt zu werden, beschloss er, nicht die Treppe zu nehmen, sondern an den Ranken des Efeus hochzuklettern, die die Turmmauer überwucherten. Oben angekommen, stieg er über die Brüstung des Balkons, und dort sah er den kleinen Josef, den er gesucht hatte, und seinen großen, bösen Bruder.
Schnell lief der Ritter auf die beiden zu, doch er war zu spät, und der Bruder erschlug den armen kleinen Josef mit einem einzigen Streich seiner großen Hand. Der Ritter konnte nichts mehr tun, als den bösen Bruder zurückzudrängen und vom Turm zu stoßen. Doch Josef konnte er nicht mehr helfen, nur noch seinen kleinen, schmalen, toten Körper vom Boden aufheben und nach unten tragen, um ihn zu begraben.
Unten angekommen, stellte er fest, dass der böse Bruder bei dem Sturz vom Turm nicht gestorben war. Er hatte sich schon wieder aufgerappelt, und floh jetzt vor dem Ritter, doch er wandte sich noch einmal um, und schrie dem Ritter entgegen: 'Gegen mich hast du keine Chance!' Seine Augen blitzen, und er schüttelte die blutbeschmutze Faust gegen den Ritter, und bevor er sich abwandte und davonging, flüsterte er ihm zu 'Dich erwische ich auch noch'"]

Uns erwischt er auch noch. Ich bekomme Angst.
Josef steht, Josef geht. Vorraus uns führend. Wir folgen ihm. Tip.Tap. Trip.Trap. Trapped.
Warum sind wir hier? In Kaufbeuren? Im Bezirkskrankenhaus? Beim Nebengebäude?
Because of. Georges, Josefa, Josef, Heinze und dem Schneemann.
Josef der mir flüstert.
“Ich bleibe hier!”
Dass er nicht zurückkehrt, an den Ort seines Todes. Ich kann ihn verstehen. Ich empfinde Mitleid. Es ist gut, dass wir hier sind. Es wird Zeit, dass wir neu ordnen.
Ich HABE Angst. Egal.
Wir betreten das Gebäude. Es ist so dunkel. Ich lese Dunkelheit und finde die Seiten, die mir Licht bringen und ich sehe. Bilder. Ein großer Mann, mit weissem Kittel spitzen Zähnen und großen schwarzen Knöpfen.
Auch er ist – wie – von meinem Blut. Das weiß ich. Das fürchte ich. Unser Weg führt weiter durch Gänge, Türen. Als wäre alles vorbereitet. Für uns. Man erwartet uns.
ER erwartet uns. Verbundenheit?
Eine Kerze. Puppen darum. Kleine süße Lockenkopfige Puppen. Wie kleine Kinder…ausgehungerte kleine Kinder, die uns bittend ansehen, anflehen. Es IST gut, dass wir hier sind?
Ein Wispern. Mein Blut wallt. Unruhe. Ich sehe mich um. Dort sitzen-liegen Menschen? Schlafend? Wachend?
Meine Mutter fühlt den Puls einer Toten. Fast proffessionell. Ganz der Vater.
Tot. Tot sind sie. Alle sieben.
SIEBEN!
Auch sie hatten keine Uhrkasten. Ich finde es gruselig. Böser Grusel – kein schöner.
Ich muss diesen absurden Wahnsinn auf mich wirken lassen. Auf jeder Stirn steht feinsäuberlich:  E-DIÄT.
Darf ich es sagen?
ICH KANN ES NICHT MEHR LESEN!
Dann Schreie. Tic. Tic. Tic. Toc
Katinka nimmt mich an der Hand und zieht mich weg. Dankbar bin ich dafür. Will nicht mehr sehen.
Ein Gang. Ein Raum. Eine Tür. Verschlossen. Klar oder?
Alektro. Hieß sie so? Von- nein- wie mein Blut. Dietricht rum. Ohne Erfolg. Wir brauchen eine Schlüssel.
Tic.Tic.Tic.Tac. Ich höre die Stimme hinter der Tür.
Tic. Erinnere mich. Tac. Nürnberg. Der Malk, der Malekin so fürchtet. Andreas.
“Andreas?”
“Heinzelmännchen!Heinzelmännchen!”Dort hinter der Tür. Vergiß die Panik, Vergiß die Leichen….dort braucht jemand Hilfe.. Wir müssen ihm helfen. Verbundenheit?
“Der Schlüssel, wo ist der Schlüssel?” Rufe ich. Keine Antwort. Mir wird das zuviel.
Was tun?
Er leidet und ich steh da.
Die anderen nicht. Ich folge meiner Mutter. Wir suchen die Schlüssel…
Dann wechselt die Realität in einen schwarz weiß Film.
Willkommen im Reich der lebenden Toten.
Ich vergesse ganz, dass ich selbst ja nicht mehr wirklich lebendig bin und könnt schreien. Die sieben Leichen haben sich erhoben und ich..wir…sehen und umgeben von …ZOMBIES? E-Diät Zombies mit aufgeschlitzen Kehlen.
Muss ich noch mitspielen? Ich möchte lieber nach Hause gehen.
Aber Andreas.
Die Blicke der Toten liegen auf uns. Leidend.Bittend. Mich schmerzt es im Herzen. Warum sie fürchten? Sie haben mein Mitleid verdient, denn der Schneemann hat sie gefressen.
Sie wollen von uns.
Aber ich kann ihre Wünsche nicht lesen. Verstehe ihre Sprache nicht.
Ob es hilft, wenn ich ihnen in die Augen sehe? Ob sie dann zu mir reden? Ob wir ihnen DANN helfen können? Ob sie uns vielleicht helfen können?
Aber der Schneemann muss sie drapiert haben. Vielleicht ist es eine Falle. Doch dieses Leid kann nicht gespielt sein und ganz tief in meinem Herzen erwacht das Bedürfnis ihnen zu helfen. Und…die Erkenntnis wie..ich ihnen helfen könnte.
Natürlich. So klar. Ich bin zu schwach. Alleine bin ich zu schwach. Aber wir sind sieben…sieben vom Blut..das wie meines ist.
Welche Macht muss in unserem Blute liegen… Tiberius’ Worte. Und jetzt verstehe ich, warum wir so viele sind. Wir müssen uns verbinden!
Dann haben wir die Kraft…dann haben wir die Macht.
Wir müssen voneinander trinken. Uns gegenseitig stärken.
Natürlich. Es ist so einfach. Ich erzähle es. Einem nach dem anderen…und…wie soll es anders sein. Sie…verstehen mich.
Nur meine Mutter, sagt diese Worte:
“Aber das ist doch Voulderie!”
Na und??????? Wir gehören zusammen. Das ist anders. Versteht sie denn nicht?
Und während sie Disskutieren, und irgendjemand einen Kelch sucht..gehe ich ein paar Schritte beiseite.
Voulderie…egal…aber etwas anderes lässt mich zweifeln.
Ich höre meiner Mutter Stimme. Ein Malekin trinkt nur Malekin. Als sie mich schimpfte, wegen Thomasso. Und plötzlich bin ich mir unsicher. Kann es richtig sein? Soviel fremdes Blut in meinem? In unserem? Sie sind nur ..wie..nicht von unserem Blut.
Schon will ich zu Katinka gehen und ihr sagen, dass sie Recht hat und ich Unrecht. Dass diese Idee schlecht ist. Falsch.
Aber ihr Blick trifft meinen. Sie zweifelt nicht mehr. Und dass sie nicht mehr zweifelt..lässt mich sicher sein…es ist gut was wir tun.
Habe diesen Kelch in der Hand und ergreife ihr Handgelenk. Noch während sie erklärt, dass es unsere einzige Möglichkeit ist um an den Schlüssel zu kommen… Durchdringe ich ihre Haut und ihr süßes Inneres quillt hervor, um von mir aufgefangen zu werden. Sie tut es mir gleich und wir fließen in den Kelch. Dann Georges? Josefa?? Ein jeder gibt seinen Teil.
Ein jeder hier im Raum.
Irgendwie ist alles durcheinander und ich habe das Gefühl, ich befände mich auf einer satanistischen-super-sex-orgie. Unerlaubte aufregende Dinge. Der Geruch der in der Luft liegt, lässt mich mein Denken verlieren. So viel zu versuchen. So viel zu erleben ..zu schmecken.
Dann trinken wir voneinander. Sieben mal.
Verbundenheit!
Und jetzt verstehen wir. Jetzt sprechen sie zu uns die Toten. Kommen auf uns zu. Betteln.
Ein Tropfen Blut nur. Für jeden von Ihnen ein Tropfen Blut.
Aber ich weigere mich.
Erst den Schlüssel.
Ich werde nichts von mir geben, bevor sie mir nicht den Schlüssel gegeben haben. Reine Panik spricht aus mir,denn ich habe das Gefühl, dass etwas schief läuft.
Obwohl wir so viele sind, obwohl wir uns verbunden haben. Bin ich allein.
Vage bekomme ich mit. Dass wir schon tun. Dass sie alle schon geben…und mehr. Ich wage nicht hinzusehen. Dann steht dieser……Mann? Vor mir. Diese Leiche. Diese verdammte E-Diät Leiche.
“Nur ein Tropfen. Nur ein Tropfen.!” Seine Stimme schmeichelt mir. Will mich locken.
Aber keiner der anderen hat geantwortet, nachdem sie bekamen, was sie wollten.
“Erst den Schlüssel!” Es tut MIR weh, sein flehen abzuweisen. In meinem Kopf herrscht ein Irrsinn…Chaos…ich kenn und seh nichts und halt mich nur an diesen Gedanken.
Erst den Schlüssel. Erst den Schlüssel. Erst den Schlüssel.
Doch sein Leid ist so groß….sein bitten…trifft mich…vergiftet mich. Ich will, dass das aufhört. Ich kann es nicht mehr ertragen. So beisse ich auf meinen Finger und male seine Lippen rot.
Dann verändert er sich.
Die Schrift auf seiner Stirn verschwindet…seine Kehle war niemals aufgeschlitzt….er scheint…fast adrett…fast nett….so lebendig..so wahnsinnig lebendig…und fast glücklich.
Schon will ich lachen, mich freuen…zufrieden, dass ich ihm helfen konnte. Ihn erlösen. Egal der Schlüssel. Endlich Ruhe.
“Und jetzt…..” Sagt er leise. “… Bring es zu Ende!”  Dann legt er seinen Kopf beiseite…und seinen Hals frei. In einer absurden fast zärtlich wirkenden Geste.
Und ich schwöre bei allem was mir heilig ist. Noch niemals…NIEMALS…wollte ich weniger von einem Menschen trinken, als in diesem Moment.
Nein.
“Das tu ich nicht!”ist alles was ich sage. Dann wende ich mich ab…setzte mich auf die nächste Bank, verstecke meinen Kopf zwischen meinen Händen und wiege mich sanft hin und her.
Ich tu das nicht. Ich tu das nicht. Ich tu das nicht…immer wieder ..nur für mich..wie ein Mantra. DAS tu ich nicht. Niemals. Ich werde ihn nicht töten.
Die Stimmen um mich herum. Beschwören mich? Befehlen mich? Lullen mich ein. Nur ‘meiner’ fehlt noch. Dann sind alle sieben erlöst. Niemand der mir das abnehmen kann.
Niemand der ihn für mich töten kann.
Denn ich tu es nicht. Ich werds nicht tun. Nie. Nie. Nie.
Euthanasie? Erlösung?  Egal welche Worte sie verwenden. MORD. Es ist Mord.
Er kniet zu meiner Rechten …sich darbietend und wenn ich nicht damit beschäftig wäre, mein Mantra zu flüstern würde ich ihn wegprügeln, dafür dass er mich verführen will.
Eine Stimme in meinem Innere flüstert mir zu, dass ich nicht umhin komme, dass alles was mir taten umsonst war, wenn ich es nicht zu E N  D E bringe. Dass alle umsonst getötet haben, wenn ich es nicht auch mache. Dass……….hat sogar Katinka getötet?
Ich muss aufblicken.
Er kniet neben mir. So nah. Und alle Anderen stehen herum.
Josefa ist fertig.
Georges ist fertig.
RalF ist fertig.
Jean ist fertig.
Alektro ist fertig.
Und Katinka?
Auch sie steht hier. Auch sie hat ihren Teil beigetragen.
Meine Lippen zittern. Mein Kopf ist leer. Alles in mir schreit danach …ihn zu erlösen(töten).
Ich blicke Katinka an, wenn SIE es tat, muss es richtig sein?

Dann dreht sich mein Kopf zu ihm…streckt sich meine Hand nach ihm…greift in sein Haar…zwingt sein Haupt beiseite…spannt seine Haut und ich schlage meine Fänge in ihn, als wolle ich ihn dafür bestrafen, dass er mir dieses abverlangt.
Während ich ihn trinke….ihn töte…flüstert er, nach was wir alle gieren….des Schlüssels Versteck…im roten Buch vom Blute.
Ruhe.
Ich habe getötet.
Anna schlägt auf mich ein, beschimpft mich und ich spucke seine Reste aus. Angewidert.
Nein, dass wollte ich nicht.
“Jetzt bist du mehr Wolf!” Flüstert RalF und ich zerbreche daran.
JA. Dreh den Dolch nochmal herum. Ich spürs noch nicht richtig.
Sie verflüchtigen sich…weiter …den Schlüssel suchend und findend.
Nur ich sitze da und betrachte unseren Erfolg. Sieben Leichen liegen dar am Boden. Eine für jeden. Tränen laufen über meine Wangen.
Ich wollts doch nicht. Ich wollt nich töten.
(Getötet hast du. Mörder. MÖRDER! Du hast mich umgebracht!)
Und Katinka steht zwischen ihnen. Sieht sich um. Verzweifelt. Umringt von den toten Leibern.
“Man darf nicht über Leichen steigen” murmelt sie. “ Was soll ich tun? Was soll ich denn jetzt tun?”
Ich will schreien. Es scheint mir alles so falsch. Ich bin vergiftet.
Ich würde ihr so gern helfen, ihr den Weg frei räumen. Sie retten. Meine Liebste aus dem schwarzen Turm befreien…aber ich kann immer nur daran denken, wie ich nach ihm greife und ihn töte töte töte.
Verkrampftes Herz. Verdammter Schmerz.
Schließlich ist sie es, die ihren inneren Kampf gewinnt. Aus dem Turm flieht und mich rettet. Ihre Hand schließt sich um meine und zieht mich hoch.
“ Sie waren schon tot. Wir haben sie erlöst!”flüstert sie mir zu.
“Getötet!” Meine Worte klingen kalt..voller Abscheu für mich selbst und ich weiß, dass sie ihr weh tun. Weil sie weiß, dass ich Recht habe…und dass es sie schmerzt…lässt mich ihr folgen…weil wir eins sind… Weil sie fühlt wie ich…weil sie weiß, was wir getan haben…weil sie mit-leidet.
Ich folge ihr, wie in einem Traum…durch den Raum (sieh nur wie sie da liegen……eure erlösten!) …durch die Tür….den Gang….(Tier das du bist…)…ein anderer Raum…die Tür, die nicht mehr verschlossen ist….(Mörder!)..die Treppen hinab in den Keller!

Tic.Tic.Toc.
“Heinzelmännchen. Heinzelmännchen! Heinzes Männchen!”
Es ist alles so seltsam langsam, was um mich herum geschieht. Kann mich Katinka noch lieben, wo ich doch getötet habe? Am Ende des Zimmers liegt Andreas. An dieses Bett fixiert und tict sich die Seele aus dem Leib. Wenn sich jemand nähert wird es nur noch schlimmer. Sie kennen ihn nicht. Er schreit und schlägt sich den Kopf gegen die Wand. Immer und Immer wieder. Ich will mitmachen. Bis dass mein Kopf platzt!
Dann eile ich zu ihm…..um ihn zu retten. So mag es für die anderen aussehen. In Wahrheit…sitzte ich an seinem Bett und halte ihn fest…weil er der einzige ist, der mich noch anders in Erinnerung hat. Sein Bild von mir muss mich heilen.Seine Fesseln sind schnell gelöst.
“Heinzes Männchen! Er kommt….er KOMMT!” Seine Stimme überschlägt sich und hinterlässt Panik im Raum. Mir ist es egal. Ich will dich befreien. Befrei du mich….(vom Mörder sein?)
Seine Medizin…er braucht seine Medizin, aber obwohl Katinka zu wissen scheint, wo sie ist, kann sie sich nicht aufraffen den Keller zu verlassen.
Da ist noch eine Türe die wir nicht geöffnet…nicht durch schritten haben.
Josefa tuts.
“Gustav?” Sind ihr Worte und sie verschwindet im Dahinter.
Ich sollte ergriffen sein. Aber …..
Dann klammere ich mich wieder an Katinka…sie an mich. Auch wir müssen dorthin. Zusammen bleiben. Damit er uns nicht findet.

Das Szenario…wäre rührig, wenn ich gerade denn Sinn dafür hätte. Aber ich habe nur Sinn für Katinka, sie hält mich, sie stützt mich.
Ein  Mann in Ketten an die Wand gefesselt….befreit….hält Josefa und Georges im Arm…schützend. Gustav Adalbert Heinze. Ihr Vater….Erschaffer. Beide haben sie nach ihm gesucht. So lange Zeit schon. Und endlich gefunden. Jetzt ist alles gut. Jetzt können wir gehen und mit unseren eigenen Dämonen kämpfen.
Ich glaube, es ist Alektro, die uns nach draussen führen will…mit ihrem Schwert voran.
Ich glaube, es ist Alektro, die markerschütternd schreit…und zurückweicht, als hätte sie den Teufel gesehen.
Aber der Teufel ists nicht….der Schneemann ists….der in der Tür steht.
Ein großer Mann,
So weiß wie Schnee…mit spitzen Zähnen und schwarzen Knöpfen an seinem Kittel.
Eiszeit.
Er befiehlt uns unsere Waffen zu senken und wir können nicht dagegen an.
Und das völlig absurde ist……obwohl ich eine Gänsehaut bekomme…und ich mich fürchte…finde ich ihn……sympathisch? Es ist nicht…wie ich….RalF sympathisch finde…oder Frau Damiroff….es ist mehr….die Zuneigung, die man für ein verirrtes Schaf empfindet…ein hilfloses kleines Schaf, dass doch nur einfach keinen hat…darum muss ich ihn…irgendwie…mögen.
Hand in Hand…beobachten wir….lauschen wir.
ER war es, der uns rief. Der Schneemann. Uns sieben. Seine Kinder sollen wir werden. Er unser Vater. Er will doch nur eine Familie. Mehr nicht.
Der verloren gegangene Bruder.
Sohn von Heinze. Heinzes Männchen..nein?
Josefa ist diejenige, die tut, was ich nicht tun könnte…sie spricht mit dem Schneemann…zu ihm….ihm zu helfen…auf dass nicht noch mehr sterben. Sie hätte doch schon einen Vater…so wie er einen Vater habe. Und während sie spricht, geht sie auf ihn zu….doch er zwingt sie zurück….seine Worte die ihr befehlen sind so mächtig, dass sie uns alle zurückweichen lassen.
Warum sie ihn nicht lieben? Warum sie nicht wollen, dass er ihr Vater würde?
Seine Gestalt wiegt sacht hin und her…und seine Stimme klingt so verletztlich..so weich…ein armes Kind.
Er will doch nur eine Familie.
“ Ich will eine Familie…”
Und Gustav löst sich von seinen Kindern und geht mit offenen Armen auf den Schneemann zu…ganz langsam…Schritt für Schritt.
“Ich bin deine Familie. Ich bin dein Vater.”
“Papa?” So leise. So hoffnungsvoll. Kann der Schneemann nur ein verirrtes Schaf sein? Hilfesuchend?
Sie fassen einander an den Händen, und fast glaube ich…es ist durchgestanden, wir überleben…da tut es ein grauenhaftes Geräusch…Gustavs Arm…er bricht…und er schreit schmerzerfüllt auf…weicht zurück.
Nein ein Schaf, dass bist du nicht.
Wie kann er seinem eigenen Vater weh tun?
Wie verdreht muss es in seinem Kopf sein?
Wieder drängen wir auf ihn ein.
Josefa und Georges vorraus.
Und wieder schlägt er uns mit WORTEN zurück.
Wir sind nichts im Vergleich zu ihm.
Sterben werden wir (verdient hast dus)
“ Ihr werdet meine Kinder…wir werden eine große schöne Familie!” Dieser schleichende Fanatismus in seiner Stimme macht mich widerwillig. Ich habe eine Familie!

“Was ist mit Vergißmeinnicht. Das ist dein Kind. Ist sie nichts?” Säuselt Josefa.
“Sie ist nichts…sie ist nur Dreck.” Dann kichert er….und sein Blick entrückt ein wenig.
“Vergißmeinnicht. Meine Tochter…hörst du mich? Ja….ja….nimm das Streichholz…und entzünde….womit du dich begossen hast….ja….” Er gluckst und kichert und mir wird klar..dass er seinem eigenen Kind den Tod befohlen hat.
So kalt kann nur ein Schneemann sein.
“Sie ist nichts….jetzt ist der Weg frei…frei für euch!”

Gustav will einschreiten. Auch er ist mächtig. Oder? Doch er wird auf die Knie gezwungen…sein Haupt vor seinem Sohn beugend.Der zu ihm kommt…ich streichelt…und drückt…dann eine Spritze in seines Vaters Nacken ansetzt und injiziert.
Ach du die Natter an meiner Brust.
Gustav fällt nach vorne um…sein Rückemark löst sich vor unseren Augen auf…dann steht er nimmermehr auf. Nie wieder.Säure.
Wortlos. Empfindungslos. Wenn Katinka stürbe. Ich krall mich an sie und erwarte irgendwie…dass Josefa und Georges austicken. Losgehen. Aber beide wirken nur…kraftlos…unwillig..sich weiter zu wiedersetzten.
“Jetzt ist er tot. Jetzt kann ich euer Vater sein. Wollt ihr jetzt meine Kinder sein?Georges, du bist mir schon so ähnlich. Komm zu mir!”
Ich kann nicht lesen, was in den beiden vorgeht. Josefa versucht ein weiteres mal zu ihm zu gehen.
“Geh weg!” Verlangt er.
“Aber wie soll ich dich lieb haben, wenn du mir nicht gestattest dir nah zu sein…wenn ich dich nicht in den Arm nehmen darf….wie sollen wir dann eine Familie sein?” Ihre Stimme ist die der Sirenen.
Aber der Schneemann traut ihr nicht.
“ Wollt ihr denn meine Kinder sein?…Jetzt ist Vater tot. Ich werd euer Vater. Erst Georges, da ist es leicht…er ist mir nah..dann …dann du Josefa…und dann..dann holen wir uns Argus….ja..ich hol mir zurück, was mir gehört..und dann die beiden da hinten..und dann..die…die beiden Malekin-Huren!”
Ich glaube zu hören, wie Josefa und Georges auf den Schneemann einreden…wir wollen deine Kinder sein…wir wollen deine Familie sein..und ich befürchte schon fast…er zwingt sie ihm zu Willen zu sein. Auch wenn ich nicht verstehe, was er davon hat….aber als er uns Malekin Huren nennt, brennt die Wut in mir hoch.
Was weiß er denn.. Katinka bebt vor Zorn…as I do.
“Dem zeigen wir, was es heisst, eine Malekin Hure zu sein!” Ich bin mir nicht sicher ob sie es nur denkt oder mir auch zuflüster…aber wir sind uns einig.
Hand in Hand, löse wir uns von der Wand und schleichen…tanzen auf den Schneemann zu. Zusammen werden wir ihn fressen, er darf nicht beschmutzen was uns heilig ist.
Doch wir kommen nicht weit…und es ist nicht der Schneemann der uns aufhält, sonder Josefa und Georges…die uns zurückdrängen…ihren Vater schützen. Ich bin verwirrt..und als es scheint..dass wir einandern loslassen müssen. Lassen wir unseren Plan fallen und drängen uns wieder zusammen an die Wand.
Wenn er Josefa und Georges hat, dann kriegt er auch den Rest.
Dann sind wir tot, denn wenn wir nicht mehr Malekin sind…sind wir nur tot.
So höre ich auf auf die Dinge hinter mir zu achten….und achte nur noch auf Katinka…höre ihr zu..spreche zu ihr. Alles andere ist unwichtig.

Hinter meinem Rücken.
Die neue Familie umarmt sich. Hält sich fest. Drückt sich aneinander.
Dann ein unterdrücktes Keuchen.
Ich wirbel herum.
Der Schneemann torkelt.
Georges hat ihm einen Pflock ins Herz getrieben. Von Hinten. Aber er ist zu schwach und….Josefa legt noch einen drauf.
Doch er fällt nicht um…weigert sich..klammert sich…fällt zurück..uns entgegen. Ich erstarre und sehe…fast ungläubig zu…wie Josefa einen neuen Pflock ansetzt…von vorne…und mit..einer Flasche?…zuschlägt..und zu schlägt und zuschlägt…bis er steckt…der Pflock.
Vorbei ist es nicht, so leicht lässt sich der Schneemann nicht fassen.
Wisst ihr nicht WIE mächtig er ist?
Georges…wirbelt rum…ich sehe in seinen Augen..dass sich etwas verändert hat…und er versucht den Pflock zu rauben….und während sie ihn davon abhalten….muss ich mich niederknien…des Schneemanns Gesicht betrachten..und….diesen hässlichen Pflock aus seinem Herzen ziehen…doch Katinka zieht mich weg….ich glaube…mehr aus sorge um mich..als dass sie erahnte was ich tun wollte…
Josef greift das Schwert von Alektro….legt es über des Schneemanns Hals..und als Jean….schnell und kräftig genug ist….dem Ruf zu folgen…und den Pflock an sich zu nehmen….
Köpft sich der Schneemann selbst…als er sich erhebt und das Schwert dabei im Weg ist.
Ashes to Ashes.
Jetzt…..ist es vorbei.
 

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