Ein Gemälde

Es ist ein Gemälde. Bar jeglicher Geräusche. In sich selbst perfekt.
Ich habe es gemalt. Um ein derartiges Werk zu erschaffen, Bedarfs es echter Liebe – echter Leidenschaft. Es kann Jahre dauern, bis man erkennt, welche Utensilien die Richtigen sind. Mit welchem Werkzeug man am besten arbeiten kann – die schönsten Ergebnisse erzielt. Ein tief inne liegendes Verständnis für die Auswahl, des passenden Untergrunds – die Seele des Werkes.
Wenn man alle Materialien gesammelt hat, findet sich der richtige Zeitpunkt von selbst – dann muss man nur noch zusammen fügen, was zusammen gehört.
Möglich, dass viel Zeit vergeht, bevor alles beginnt und alles endet.
Aber Geduld ist eine wertvolle Tugend. Sie lehrt mich, zu schätzen was ich schaffe, es im rechten Licht zu betrachten. Und so wie Gott jede Tugend belohnt, bedachte er auch mein Warten mit einem Geschenk.
Zufälle gibt es nicht. Vielmehr ist es so: Es reihen sich tausend unbedeutender Kleinigkeiten derart aneinander, dass sie unweigerlich zu jenem Ereignis führen, welches geschehen MUSS. Und wenn man nur die Augen öffnet, um zu sehen, nimmt man es wahr. Es grenzt an eine Verschwörung – erschreckend logisch, schwer zu widerlegen. Die Fragen nach dem Warum, wird überflüssig, wenn man mit ganzen Herzen erkannt hat, dass alles was man tut, nur auf diesen einen Moment zielt.
Worauf ich hinaus will?
Ich hätte ihn niemals bemerkt, wenn ich nicht müde in seinen Arm gesunken wäre. Was nicht geschehen wäre, hätte ich nicht die Nacht davor, wegen Fieber durchwacht. Was nicht geschehen wäre, hätte mich meine erkältete Freundin einen Tag davor nicht besucht. Was nicht geschehen wäre, hätte ihr Freund nicht mit ihr Schluss gemacht. Was nicht geschehen wäre, hätte ich ihn nicht mit einer Kollegin bekannt gemacht. Was nicht geschehen wäre…. Nun… ich könnte das noch sehr viel weiter führen. Das wirklich beunruhigende daran ist, wenn es nicht genau so abgelaufen wäre, wäre es anders gelaufen – mit demselben Ergebnis.
Ich schlie゚e meinen Augen und höre seinen Herzschlag. Nach einigen Sekunden dröhnt sein Puls in meinem Ohr – beschwingt mein Trommelfell und diese unwirkliche Vibration ergreift meinen Körper. Seine Arme sind um mich geschlossen. Warm. Nah. So muss es sein und nicht anders. Er riecht gut. Seine Stimme ist ruhig, spricht leise zu mir. In Gedanken vollziehe ich die Umstände nach, die mich in diese Situation geführt haben und ich erkenne: Ich bin auf dem richtigen Weg.
Er ist der Richtige, doch darf ich nichts überstürzen. Let it grow. In der Ruhe liegt die Kraft. Wenn ich mich nicht täusche habe ich alle Zeit der Welt, denn egal was er oder ich tun werden. Es wird geschehen.
So lasse ich mich auf ihn ein, auf das ich unter die Maske sehen kann. Ihn erkenne, ihn beim Namen nenne. Es muss ehrlich sein, es muss echt sein. Und jede Sekunde in seiner Nähe macht mich glücklicher, denn je mehr ich sehe, desto bewusster wird mir, dass ich nicht irre. Kann denn Wahrheit Sünde sein? Mit viel Hingabe arrangiere ich das Szenario, in welchem ich mein Kunstwerk erschaffen werde. Ich habe es nicht eilig. Vorfreude ist ein erreichens werter Zustand. Alles scheint so neu und aufregend. Wenn er mir in die Augen sieht, schlägt mein Herz schneller. Und.
Es schlägt schneller als ich ihn die Treppen hinab führe, in  mein Atelier. Seine Hand schlie゚t sich fester um meine, als wir den Raum betreten. Er hat Angst. Ich liebe ihn wirklich und würde ihn nicht anlügen. Darf ihn nicht anlügen, denn die kleinste Unwahrheit würde all mein Streben wertlos machen. Echtheit ist das Einzige was zählt. Wahrheit.
Sein nackter Körper auf dem dunklen Leder. Er sieht so wunderschön aus, dass mein Herz mich schmerzt – mein Atem stockt. Fast wage ich es nicht ihn zu berühren… Und dennoch muss ich.
Er ist der perfekte Untergrund für mein Gemälde. Eine Seele, die meiner gleicht. Er, der mich versteht, fürchtet und liebt. Was mehr will ich erwarten?
Meine Hand bebt, als ich das schmale schwarze Kästchen öffne, in dem sich der richtige Pinsel für die Leinwand befindet. Sein Atem wird schwerer, seine Augenlidern flattern leicht. Sacht blitzt der Kerzenschein wider, auf dem blanken Metall in meiner Hand. Mir scheint fast, ich kann das Adrenalin in seinem Körper riechen. Dieselben Gefühle in verschiedenen Rollen, denn auch ich habe weiche Knie. Behutsam nähere ich mich ihm. Langsam. Jeden Schritt auskostend. Sein Blick ruht auf mir und ich höre all die Fragen, Gedanken… Fühle seine トngste, sein Verlangen. Wie zwei kann eins sein? Dafür liebe ich ihn, dafür liebe ich ihn wirklich. Keine Fesseln, die ihn halten. Kein Zwang. Aus freien Stücken, aus freiem Willen gibt er sich. Was für ein Geschenk!
Als ich bei ihm stehe, wird mein Gefühl für ihn so übermächtig, dass ich mich vor ihn hinknie. Beinah ehrfürchtig, ihm dankend für seine Gabe. Für seine Liebe. Wahrnehmen. Genie゚en. Auskosten.
Doch darum sind wir nicht hier. Eine geschmeidige Bewegung reicht, dann sitze ich bei ihm auf der Armlehne, streiche ihm zärtlich über die Wangen. Er schlie゚t die Augen und sieht nicht mehr, wie ich meinen Pinsel führe, um seine Lippen rot zu malen.
Die scharfe Klinge dringt in das empfindsame Fleisch, lässt seinen Körper sich anspannen, aber kein Laut dringt aus seiner Kehle. Ganz nah. Ich muss das von ganz nah sehen. Das Skalpell hinterlässt eine schmale klaffende rote Spur, aus der sich langsam aber stetig sein Leben drängt. Noch ein wenig tiefer, damit es nicht nachdenken muss, ob an die Oberfläche kommen will oder nicht. Quellen muss es. Lebensquell.
Rote Lippen, ein dünner roter Faden, welcher über den Mundwinkel, sein Kinn entlang, den Hals hinab rinnt. Wie wunderschön. Ergriffen beuge ich mich zu ihm und koste. Seine Hand legt sich sacht an meine Hüfte, mich näher ziehend. Diese Sekunde ist erregend. Mein Inneres tobt und die Härchen auf meiner Haut stellen sich eines wie das andere auf. Mehr! Ein Kuss – Küsse…
Meine Liebkosungen hinterlassen  bizarr aussehenden Kussmünder auf seinem Körper. Diese Stelle, nahe der Halsbeuge, die so Kribbelt, wenn man zärtlich mit der Hand darüber streichelt. Diese Stelle streichelt meine Instrument Und als ich es noch etwas tiefer unter seinen Haut gleiten lasse, entkommt seinen blutigen Lippen ein atemloses, kaum vernehmbares Stöhnen, dass mir ins Mark fährt. Hei゚ und Kalt. Fire and Ice. DAS geht wirklich unter die Haut. Mir und Ihm. Kann kaum die Finger von ihm lassen. Würde mich am liebsten mit ihm verbinden. Aufhören zwei zu sein. Aber an ihm sind noch so viele Orte die gezeichnet werden müssen. Es liegt tief in mir, welches Muster er tragen muss. Zu sehen wie seine Brustkorb sich stetig hebt und senkt. Wie sein Körper erbebt, wenn ich die Klinge erneut ansetzte. Er atmet Leben aus und ich will sein Gesicht in beide Hände nehmen und ihn einatmen. Mich an ihn schmiegen, auf das die Farbe, die aus meinen Zeichnungen dringt sich mit mir verbindet und mich bemalt. Manche Striche, sind tiefer und scheinen breiter, manche kratzten nur an der Oberfläche. Ein jeder so wie er sein soll. Sein Anblick, wie er da sitzt, nimmt mir die Fähigkeit zu denken. Seine feine Haut zerkratz, zerteilt, zerschnitten. Verschieden gro゚e Blutstropfen, die daraus hervordringen. Jeder eine unverwechselbare Spur hinter sich zurücklassend. Die leise Qual, die in sein Gesicht geschrieben steht UND das Wissen, dass er es freiwillig erträgt.
So liegt er vor mir, in diesem Ledersessel. Seine Augen geschlossen. Seine Lippen stumm.
Im sanften Kerzenschein.
Ich trete zurück und  lasse dieses Bild auf mich wirken.
Es ist ein Gemälde.
Bar jeglicher Geräusche.
In sich selbst perfekt.

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