05.Eva und der Liebesbrief

Ein Mitternachsflohmarkt! Noch nie hab ich sowas schönes Gesehen!!!
Wie sich Wege manchmal fügen um dich wohin zu bringen, dass kann schon witzig sein. Eigentlich wollt ich etwas umher streifen und ziellos Leute lesen, vielleicht hätt ich ja jemanden gefunden, der ein wenig blass um die Nase ist….dann könnt ich mich endlich Traditionsgemäß vorstellen…und was ist?… Mir flattert vor die Nase…aus dem NICHTS ( ich schwörs!) So ein Flyer, der mir eben den Weg zu diesem Flohmarkt beschreibt.
Meine Güte. So wie meine Mitschüler früher Weihnachten beschrieben haben, so fühl ich mich. So viele bunte Dinge. Und lustige Lichter. Und viele viele verschieden Menschen, die durch dieses Chaos an Kisten und Autos und Ständen wandern…mit ihren Händen da und dort darüber streichen. Dieses und Jenes …drehen und wenden. Es ist ein riesiger Madenhaufen in dem es würmt und wühlt und ich würd am allerliebsten laut applaudieren weil ich dieses Tohuwabohu ganz schrecklich wundervoll finde!
Für einige Momente bleibe ich etwas abseits und guck nur zu, das ist wie….wenn man auf seinen Löffel ein mächtig großes Stück Schokoeis mit Macadamia Nüssen geladen hat…und es nochmal ansieht..bevor man es vernascht. Schokoeis könnt mich jetzt freilich nicht mehr locken. Aber dieser Markt…der kann.
Ich grinsel, ganz allein für mich und tauch ein in das Meer an Menschen und Farben und Dingen, lasse mich mit diesem Strom treiben mit geschlossenen Augen. Fühle Hände vorbeistreifen und Handtaschen..und Jackenärmel und Kinderhaare…ein Regenschirm. Ein paar rempeln mich an, doch weit falle ich nicht, denn von der anderen Seite kommt ein sanfter Schubs zurück ich nehme es hin und lasse mich führen…von den ganzen Individuen, die völlig seperat agieren und dennoch ein Teil dieses Musters sind.
Wundervoll..nicht wahr?
“He!” Ruft da wer und aus irgendeinem Grund fühle ich mich angesprochen und öffne meine Augen…mich umsehend. Aber…mich hat man wohl nicht gemeint. Wie auch, kenn ja keinen hier. Und weil da niemand ist, mit dem ich reden könnt, schau ich auf den Stand vor meiner Nase. Da sitzt so eine alternative ältere Dame mit bunten Kleidern. So ein bisschen was, hat sie ja von einer Zigeunerin. Eine konservative Zigeunerin. Geht das? Paradoxon? Egal.
Ihr Stand ist ein übergeschnappter Perserteppich. Ein abgelatschter mit eben typischen , verwinkelten Mustern in diesen braunrotgrünsenfblähwurgs Farben. Auf ihm liegen allerlei Bücher deren Buchrücken schon angefressen sind, oder geklebt. Und bunter Tand. Eine Spieldose, eine Taschen uhr. Ein Strauß roter Plastikrosen. Ich muss an so ein Lied denken in dem sich irgend eine Tussi von jemanden Rosen in die Haut stechen lässt….schenk mir Rosen. Es liegen einige Cds rum, auch offensichtlich benutzt. Ein alter Stoffteddy…er sieht aus, wie einer von denen, die noch so ulkig schreien wenn man ihnen aufs Brustbein drückt. Möööhhh. Ein kleiner Handspiegel, der so tut als wär er aus silber…doch die Farbe blättert an einigen Ecken und Enden ab und darunter hats nur ein dunkles Langweiliges Metall…aber irgendwie…. Meine Augen huschen weiter über dieses Paradies und je länger ich darauf guck, desto mehr habe ich das Gefühl, dass all diese Dinge zusammengehören.  Sie wirken so aufeinander abgestimmt. Da liegt ein Fotoalbum und ich kann mich nicht zusammenreissen.
Der Standeigentümerin scheint das ganz egal. Mir nur recht. Ich öffne das Album wie andere eine Schatzkiste….und ein weibchen guckt mich an. Blond. Vielleicht 5 Jahre alt? Das Kind grinst ganz breit, sie freut sich über irgendwas und ich überlege ob ich mit mich früher auch so sehr gefreut hab..und ich frage mich , warum ich kein Fotoalbum hab.
Eine Seite weiter, tobt ein älteres Blondes Mädchen mit einem Mann durchs Bild…ähnlichkeit unverkennbar. Die spielt mit ihrem Papa und mich befällt für eine Sekunde blanker Neid. Schon will ich das dumme Buch weglegen, aber meine Neugierde ist zu groß. Da sind Urlaubsbilder, und Schultüten bilder. Und Gruppefotos und Zeltlager Fotos und Fotos von Weihnachten. Als sie älter ist schon eine richtige Frau, ganz hübsch…find ich…da ist sie mit einem Jungen Mann auf dem Bild, der sie ganz liebevoll hält. Ich glaub, die lieben sich. Ein seltsames Bild. Von denen beiden hats dann noch viele Bilder, auf einem hat sie ein wunderhübsches weisses Kleid an, wie eine Prinzessin sieht sie darauf aus und er wie ein Prinz. Eine Prinzessin mit einem silbernen Spiegel. Das passt …nein?…
Dann kommen Bilder, auf denen man den Prinzen sieht, wie er mit einem anderen Mann rangelt und sich drückt…und Bilder auf denen alle drein zu sehen sind…sie in der Mitte und ihr Blick auf dem Freund vom Prinzen. Die nächste Seite ist leer und die übernächste auch…ich klapp das Fotoalbum zu.
Die Zigeunerin sieht mich an.
“ Willste was davon?”
Ich nicke, das Fotoalbum lass ich gleich nicht mehr los…den Spiegel und den Strauß Plastikrosen pack ich drauf. Drei Dollar will sie dafür haben und die kriegt sie auch von mir.
Auf dem Weg zurück, gilt meine ganze Aufmerksamkeit den Schätzen die ich ergattert habe, halte alles fest an mich gedrückt bis ich daheim bin. So eine Tür wird ganz schön widerspenstig zum aufsperren, wenn man alle Hände voll hat.Und weil der Schlüssel sich nicht drehen lassen will und ich ein wenig dran rumrüttel, fällt mir das Fotoalbum aus dem Arm und es schlägt mit einem lauten ‘Rums’ zu Boden.
Zeitgleich – derSpiegel der bricht.
Zeitgleich –  das Bild von ihr und dem Prinz das fällt.
Zeitgleich – ein Briefumschlag aus dem Album der zu Boden gleitet.
Und über alle dem die roten Plastikrosen verteilt.
Der Anblick trifft mich wie CHAMPs Faust mitten ins Gesicht. Fühl mich betäubt. Würd das alles nicht vor meiner Wohnung liegen, müsst es für alle Zeit so bleiben, so berrauschend schön sieht das aus.
Ich raufe mir die Haare. Dass kann kein Zufall sein. Nein?
Das es daliegt. Wie es daliegt.
Eine Rote Rose auf ihrem weissen Kleid…rot wie Blut. Der Drahtstiel kreuzt den metallener Griff des Spiegels…dessen Gesicht sich zweigeteilt hat. Daneben das Album und ein Weg aus Rosen der meine Blick zu dem Briefumschlag führt. Als hätt es jemand dorthin geordnet um mir was zu erzählen. Ich werd ganz hektisch. Ich muss es aufräumen und kann nicht, weil ich dann das Muster zerstör, und wenn ichs zerstör, dann find ichs vielleicht nicht wieder und das Geheimnis, dass sich mir offenbaren will bleibt für alle Zeiten unerzählt. Was ist ein Märchen wert, dass niemand hört?
Nervös knabber ich an meine fingernägel. Was soll ich tun?
In meiner Unfähigkeit mich zu entscheiden, schlüpf ich nach drinnen und hol einen Kugelschreiber und ein Blatt Papier aus dem Drucker.
Zurück. Dann mal ich.
Ich bin des Malers Tocher – und meine Skizze lässt deutlich zu wünschen über. Von Kunst keine Spur, aber das ist nicht wichtig! ICH sehe durchaus, dass, was ich versuche festzuhalten. Das Muster nämlich. Wie die Handschrift eine Artztes, die so saumäßig ist, dass sie unter Garantie nur er selbst lesen kann. Aber das ist genug!
Dann bringe ich die Dinge in mein ehemaliges Schlafzimmer. Für ein Sekündchen liebäugle ich damit, sie wieder so anzuordnen wie sie waren, doch ich ahne, dass es nur ein billiger Abklatsch wäre. So plaziere ich alles auf dem Bett…nur den Briefumschlag…den behalt ich.
Obs ein Brief an die Prinzessin ist?…oder von?
Der Briefumschlag ist zugeklebt.
Kurz machen sich in mir Bedenken breit, ob ich es wagen kann, ihn zu zerstören, indem ich ihn öffne.
Aber ich war eine artige Schülerin und mein Vater lehrte mich…..sehr intensiv….dass die Oberfläche nur die halbe Wahrheit preis gibt und dass man sie brechen muss um dahinter zu blicken. Das mag weh tun. Aber Schmerz eröffnet neue Welten.
Ich reiss ihn auf und zieh….oh überraschung…einen Brief hervor….

                                                                                                                                                                                               NY Januar 1999

Hallo
 
Ich sitz‘ hier nun schon ‚ne ganze Weile und weiß garnicht so recht, wie ich anfangen soll.  Ich werde einfach versuchen zu schreiben, was mir  durch den Kopf geht, also nicht wundern, wenn irgendwas nicht wirklich zusammenhänged klingen will. Trag mich schon länger mit dem Gedanken, dir zur sagen, schreiben oder wie auch immer, dir mittzuteilen welche Art von Gefühlen ich für dich hege.
Wir kenen uns  nun doch schon ein weilchen und es war schon immer so, daß du mir gefallen hast. Aber…. die Art und Weise, in der ich an dich denke hat nichts mit gefallen oder befreundet zu tun. Ich weiß nicht, wie in aller Welt das passieren konnte, doch es sieht wohl so aus, dass ich mich in dich verliebt habe. Oh ich habe viel darüber nachgedacht. Ob es nicht einfach so ist, dass ich dich haben will, weil ich dich nicht kriegen kann (denk ich halt), dann muß ich jedoch sagen, dass ich sehr hartnäckig bin, denn du lebst schon seit bald zwei Jahren in meinem Kopf – wenn das nur einbildung ist, dann weiß ich auch nicht. Weißt du, jeden Tag an dich zu denken wär  schon okay, ich hatte mir ein gutes System entwickelt um das einfach zu akzeptieren, es einfach nicht derart ernst zu nehmen, aber nun bin ich an einem Punkt angelangt, an dem das nicht mehr  funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Teufel auch…
Ich habe in meinem Kopf tausend Geschichten geschrieben, beim einschlafen, beim Autofahren, wann immer ich Zeit hatte und in allen warst immer nur du der Mittelpunkt. Ich hab mir wirklich viel ausgedacht, wie ich dich ‚bekommen‘ könnte, wie ich verführen würde oder berühren oder in deinem Arm liegend und Frieden verspüren. Aber ich wagte es nie sie zu verwirklichen, denn wenn du nicht so fühlst wie ich könntest du es womöglich besser finden, wenn wir uns eine Weile nicht sehen. Oder schlimmer noch, es ginge dir wie mir. Du würdest meine Gefühle erwiedern, dann wär ich noch viel mehr aufgeschmissen, denn dann wäre das, wonach sich mein herz zu sehnen scheint zum greifen nah – und ich würde wohl schwach werden. Für die Vorstellung in deinem Arm zu
 liegen, könnt ich sterben. Mir werden die Knie schwach, wenn ich daran denke die Wärme deines Körpers zu spüren, wenn du mich küsstest würde mein Atem stillstehen und mein Herzschlag verstummen, nur damit ich die Zeit anhalten könnte und du nie mehr von mir läßt.
Du glaubst garnicht wie anstrengend es ist heimlich verliebt zu sein. Jeder Deiner Gesten und Blicke wieder und wieder zu überarbeiten, ins Detail auseinander zu nehmen und wieder aufzuarbeiten nur um einen kleinen Hinweis zu finden der darauf deuten könnte, dass du mich magst. Nur um im nächsten moment festzustellen das es wahrscheinlich doch nur freundlichkeit oder vielleicht Freundschaft ist. Was heißt nur Freundschaft. Ich hab mir manchmal überlegt dir einfachzu erzählen wie ich fühl, dass ich deine nähe such und mich bei dir wohl fühle, ohne irgendwelche Forderung an dich zu stellen. Vielleicht würdest du mir ja denn gefallen tun und mir die Nähe geben die ich mir wünsch – aus Freundschaft.Dann wieder dachte ich, wenn es nur neugierde ist die mich treibt, vielleicht sollte ich es einfach durchziehen und dich verführen, womöglich wärst du nicht abgeneigt, aber ich bin nicht der richtige Mensch um das zu tun. Und wenn es uns gefallen würde? Oder wenn du mich doch gern hättest, mir läge nichts ferner als ausgerechnet dich für ein ‚spiel‘ zu mißbrauchen. Außerdem bin ich mir doch sicher, dass ich es nicht verkraften würde. Denn ich kann mir diesen Unwust an Emotionen doch nicht wirklich einbilden! Wenn ich an dem Gefühl für dich zweifeln muß, müßte ich noch ganz andere Sachen in meinem Leben neu betrachten. Nun gut. Jetzt ist es soweit, dass ich nicht mehr weiter weiß, mein Gefühl für dich zerreisst mich innerlich. Ich breche urplötzlich in Tränen aus , weil ich so verloren und hilflos fühle. Und kein Ufer in sicht, denn wie ichs mach, mach ichs falsch. Jetzt hab ich mich für die ehrlichste aller Lösungen entschieden, und ich denke es ist gut so.  Es gäbe wohl noch viele Sachen, die ich noch zu schreiben hätte, aber es wird Zeit um mich auf den Weg zu machen. Hab  noch was vor heute. So viel sei noch gesagt, Ich denke in Liebe an dich

                        
Du wohnst ganz nah an meinem Herzen
wann immer ich die Augen schließe, seh ich dich
und manchmal wenn ich träume fühle ich dich…
…und dann möchte ich nimmer aufwachen.

                          In Liebe
                                           Deine
                                                         Anna

Ich les den Brief einmal. Zweimal. Fünfmal. Zehnmal.
Ungeschickte Liebesbriefe.
Dann blättere ich wieder durch das Fotoalbum. Auf einem Foto, schon gegen Ende, das nach Geburstag aussieht…da umarmt sie den Freund und dahinter auf einem Tisch liegt ein Strauß Plastikrosen auf einem eingewickelten Geschenkt….dass…..für mich….verdammt noch mal…nach einem kleinen Handspiegel aussieht.
In meinem Kopf öffnen sich Türen…die mich…auf neue Wege führen. Ich verstehe. Die Prinzessin, die Anna heisst…ist Helena und ihr Prinz mein Vater und der Freund…das ist mein Lehrer…nicht wahr?
Ich lasse mich zurücksinken auf mein Bett…ich fühle mich als hätte mir jemand Scheuklappen abgenommen und ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen wollte was ich jetzt weiß. Meine Hand liegt auf ihrem Brief und ich fühle die Tinte auf dem Papier und weil mir gerade so seltsam zumute ist lasse ich mich gehen und ihre Buchstaben, werden unter meinen Fingerspitzen zu Bergen….ich erfühle….nicht was sie schreibt…sondern wie sie es schreibt…..wo sie…nachdenkt….den Füller still hält…wo sie mit dem Schreiben fast nicht hinterher kommt und die Tinte nur ganz dünn ist, weil die Worte aus ihr herausfließen. Und während ich das tu, verliert sich das Papier und es fühlt sich silber an, so silber dass mir mein Herz schmerzen will und ich Leid empfinde, dass nicht das meine ist, ich kann mich nicht wehren und fall in ihr silber rein und während ich hineinfalle, steigen Bilder auf..an mir vorbei……. Ein Blick in ihren Spiegel….rote verquolle Augen….. Ihr Schreibtisch, auf dem eine Klinge liegt….ein Papierkorb in dem sich leere Tablettenschachteln tummeln….ihr Bett mit einem Teddy darauf….hinter diesem Silberschleier…Milchglasscheiben… Ich will mir wehtun um dieses Leid zu beenden.
Nein, länger ertrage ich es nicht. Meine Hand zittert, als ich Anna schreibe….dann ist es vorbei…….und ich starre an meine Zimmerdecke.
Fühl mich aus mir rausgerissen.Haltlos.Leer.
Nicht schön.
Den Brief fege ich von meine Bett….erhebe mich mit einem Ruck und sehe mich selbst im Spiegel des Schlafzimmerschrankes. Der Anblick gefällt mir nicht. Seh nicht weich aus. Seh nicht lieb aus. Hab Hunger.
Richtig…Hunger.
Ich widersteh dem Drang etwas nach dem Spiegel zu werfen, stattdessen schnapp ich mir den Haustür schlüssel und geh nochmal aus.
Heut wird was aus dem Park herhalten müssen, bis ich mich ruhig getrunken hab.
Bis ich mich wieder gefunden hab.
Bis ich nimmer leer bin. Bis ich wieder Eva bin.

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