15.Eva und die SHG Panikattacke.eV

Ich lehne mich zurück und neben mir steht eine Frau mittleren Alters auf. Ihre Schultern sind hoch und nach vorne gezogen, als müsste sie einen Schmerz in der Brust schützen. Ihre Fingernägel sind abgekaut und diverse Falten zeichnen ihr Gesicht. Rein Äusserlich würde ich sie auf gute 42 Jahre schätzen. Ihre Haut blass, schlechte durchblutung. Ich wette ihre Hände sind kalt. An ihren Zeige und Mittelfinger der rechten Hand sehe ich jeweils eine kleine minimal verhorne gelbliche Stelle. Ihre Zähne sind auch nicht strahlend weiß. Raucher. Sie hat ziemlich dünne Beine und dafür eine großen blauen Pulli, der faktisch alles von ihrer Figur verdeckt. Ihr ist oft kalt? Ich glaube die Temperatur ist relativ normal in diesem Raum. Der Rest der Teilnehmer trägt Hemd oder Shirt oder Bluse.
Dann beginnt sie mit leiser Stimme zu sprechen:

„Hi, mein Name ist Susanne…ich…ich bin 35 Jahre alt und leide seit etwa…20 Jahren an …“sie schluckt. „…an Panikattacken.“

„Hallo Susanne…“antwortet der Rest im Chor, so automatisch,dass es zum einen vermutlich zum üblichen Prozedere gehört, als auch so fix, dass ich es zum Anderen verpasst habe. Meine Aufmerksamkeit gilt ohnehin ihr.
Wie sie da steht, mit unstetem Blick. Ihr Haar nur wahllos nach hinten gepackt. Sie sieht mich an, komisch irgendwie. MIr fällt auf, dass ich sie ja anstarre, aber da sie gerade am Reden ist, ist das regulär, also lächel ich ihr aufmunternd zu. Ihr Mundwinkel zuckt nur kurz nach oben, als hätte sie mein Lächeln nicht überzeugt.
Sie spricht weiter und ich schließe meine Augen halb…

„Ich…..ich weiß nicht…warum es anfing, es…es fing einfach an..es..“erzählt sie leise, da ist ein Unterton in ihrer Stimme, über der Unsicherheit, die Menschen immer haben, wenn sie über Dinge sprechen die sie zutiefst berühren unter der Scham, die Menschen immer haben, wenn sie über Dinge sprechen, die sie schwach aussehen lassen. Irgendwas stimmt da nicht. Dieser Unterton versetzt mir einen Stich und……..weckt meine Neugier.
Ich blinzel und lächel sie an.

„Entschuldige Susanne?“ sage ich leise und wende mich ihr etwas zu, mein Lächeln ist diesemal sehr warm es ist bin in meine Augen vorgedrungen und sie darf sich meiner Aufmerksamkeit gewissen sein. Bis zur Gänze.

Die Mausgraublondine wendet sich mir verwirrt zu und auch einige Andere Teilnehmer wirken verwundert…offensichtlich spricht man sich nicht an? Egal.

„Ja?“ fiept sie.

Mein Körper wendet sich ihr mehr zu, ein wenig so, wie man es bei einem Kind täte und bei ihr geschehen zwei völlig kontroverse Dinge, zum einen entpannt sich ihre Haltund und zum Anderen weicht ihr Leib etwas zurück. Haaaaaaaaaben wir Probleme mit Vertrauen?

Fragend schüttelt ich meinen Kopf, weils mir auch spanisch vorkommt.
„Du weißt nicht, warum das mit den Panikattacken begann?“
Mein Blick auf ihr.
Sie schüttelt ihren Kopf

„Nein….“..piept sie.

Sie lügt
Erst die Gewisseheit. Dann seziert mein Verstand die Kleinigkeiten, das kurze Augenschließen, um sich zu sammeln oder weil sich die meisten normalen Menschen eben doch schwer tun einander ins Gesicht zu lügen. Das kurze schieln nach oben um sich eine Wahrheit zu erfinden. Ihre rechte Hand die für einen Moment die Tendenz zeigt sich zu zur Faust zu ballen und wissentlich unterdrückt wird. Ihre Stimmelage hat sich etwas erhöht. Viele viele Kleinigkeiten und obendrein dieses Gefühl von Schwärze in mir. Seid ich ihr meine Aufmersamkeit widme gärt in meinem Leib ein schrecklich, hässlich schönes? vernichtendes Gefühl. Wie ein Dämon lauert er. Es ist keiner von meinen.
Diese Frau weiß…warum sie von der Angst geplagt wird.

Mein Blick verbleibt auf ihr wie hypnotisiert, sie beginnt zu blinzeln, sie merkt, dass ich ihr nicht glaube..

„Sprechen sie doch weiter Susanne…“ fordert sie die Gruppenleiterin Frau Boyle mit einfühlsamer Stimme auf.

Susanne nickt.
Ich lächle höflich und lehne mich zurück.

„…es begann irgendwann, da wachte ich mitten in der Nacht auf, bekam kaum Luft..mein Puls…mein Puls schlug 120 in der Minute und schneller…es war….es war wie Todesangst und ich konnte nicht…nichts dagegen tun es…“ teilweise versinkt sie in Erinnerung, teilweise huscht ihr Blick immer wieder kurz zu mir, als müsste sie mich im Besonderen übezeugen. Als sie das mit der Todesangst erwähnt brummel die Anderen mitfühlend, verstehend IHR HABT KEINE AHNUNG!
Ich blinzelt selbst und hüstel kurz, nur um mich weiter auf die Sprecherin zu konzentrieren.
Bei ihrem Reden hält sie ausschließlich überhaupt nur Blickkontakt mit Frauen, den Männlichen Teilnehmern weicht sie unbewusst aus. In Blick und Haltung.
Während sie weiter erzählt von den Auswüchsen ihrer Panik und den unangenehmen Konsequenzen für ihr tägliches Leben verlasse ich die Ebene der gewöhnlichen Wahrnehmung und steige die Stufen ein Stockwerk nach oben.
Farben erfüllen meine Realität. Ihre Farben.
Beeindruckend schräg. Irgendwie gefällt es mir
Eine dunkleblaue, dunkelbraune Masse beherrscht sie, durchzuckt von schwarz und immer wieder rosa auftauchenden Flecken..je länger ich sie betrachte desto mehr offenbar sich..immer wieder rot…da und dort gelb..irgendwo dahinter ein unschuldiges weiß wie es bei erwachsenen Menschen nur selten zu sehen ist…an der leichten Tendenz ihres Farbenspiels zum kreiseln erkenne ich, dass sie schon mehr als einmal an ihrem Verstand verzweifelt ist… hübsch irgendwie…nein? Gerade sind wir in einer sehr silbernen Phase ihrer erzählung angelangt, als sich meine LIppen öffnen und ich spreche ohne das ich es geplant hatte. Wirklich nicht!
“Verzeihen sie Susanne, finden sie keine Ruhe wenn ihr Liebster sie zärtlich berührt und sie liebevoll nimmt?“
Diese Stimme klingt so warm und verständnisvoll, ich mag sie sofort. Einfühlsam.
Ein großter Eimer Schwarz und Orange übertüncht ihr Farbenspiel und es dauert tatsächlich ein zwei Sekunden bis ich die Relation zwischen diesem Effekt und meiner Frage herstellen kann.

„I—i—ich…ich..“stottert Susanne und wird noch blasser. Ihre Farben werden zu einer sich heftig drehenden homogenen Masse die irgendwie verzweifelt auf mich wirkt.
Frau Boyle schenkt mir einen vernichtenden Blick und wendet sich freundlich an Susanne.
„Setzten sie sich erstmal und sprechen sie dann weiter…“ fordert sie Susannze auf, die hörts und tuts aber ihre Gedanken kreise um meine Frage. Ich weiß, warum du keine Nacht schlafen kannst suuuusiiiii
Frau Boyles Blick ruht einen Augenblick auf mir, als überlege sie mich zu bitten als nächstes zu sprechen, doch dann wendet sie sich an einen junge Mann an ihrer Seite.
„Michale, möchtest du uns ein wenig von deiner letzten Woche erzählen?“
Michael erzählt und ich lenke meine Aufmerksamkeit auf ihn um Minuten später auch seine farben auf mich wirken zu lassen. Auch da ist Angst, aber auch Stolz. Blau. Ich muss lächlen. Ob er daraus seine Kraft zieht. Er erzählt davon wie oft er letzte Woche erfolgreich eine anstehende Panikattacke mit Gesprächen und Mediation zurückgedrängt hat, alle Teilnehmer lächeln und freuen sich mit ihm
Ich auch.

Die Stunde ist zu Ende, vielleicht 4 von 12 Leuten haben gesprochen. Als wir uns alle verabschiedet haben und Mantraähnliche flosken zur Stärkung des Selbstbewusstseins gemurmelt wurden wenden wir uns zum gehen.

„Helena?“ sagt Frau Boyle. Helena ist der Name mit dem ich mich vorgestellt habe. Man braucht bei diesen Veranstaltungenk einen Ausweiß vorlegen, nur einen Namen in die Liste schreiben.
Ich bleibe also stehen und sehe Frau Boyle mit einem freundlichen Lächeln an. Sie ist größter als ich. Ihre Augen braun und aufmerksam.
Sie kommt zu mir und mustert mich.
„Helena….warum haben sie Susanne diese Frage gestellt?“
Ich blinker komisch.
Frau Boyle wartet.
„Ich denke ..Susanne weiß sehr genau, warum sie solche Angstzustände hat“antworte ich etwas kühl, als ob ich es nicht nötig hätte mich einem Menschen zu erklären und sie als Gruppen führerin sollte es schon lange gemerkt haben, wenn sie gut wäre.
Das Lächeln um Frau Boyles Mundwinkel wird bitter und weil ich heute schon den ganzen Abend dabei bin und überhaupt nur zu diesem Zweck hier her gekommen bin, lasse ich auch ihre Farben auf mich wirken.
Da ist sehr viel mitgefühl, Trauer….idealismus…viel innere ruhe und und ein paar briesen bitterkeit. Aber sie wirkt sehr..ausgeglichen? Beinahe bin ich neidisch.
Auch in ihrer Stimme klingen ihre Gefühle mit, sie ist so unverfälscht echt, dass ich es ihr schon wieder neiden will.
„Susanne wurde als Kind von ihrem Vater missbraucht, mit 15 hat man sie in ein Heim gebracht. Ich weiß dass sie lügt, sie weiß dass sie lügt. Aber was berechtigt sie dazu sie derart in ihren eigenen morast zu stürzen?“
Unter ihrem Blick fühle ich mich wie eine dreizehnjährige die ein Tier zum Spass getreten hat und dabei erwischt wurde. Wie schlecht und Böse du bist
Ich will taumeln und mich entschuldigen und sagen, dass ich es nicht weiß und erklären dass ich vielleiht nur meinen Verdacht nur bestätigt wissen wollte. Oder …
Mein Gesichtsausdruck muss sehr indifferent sein, denn er spiegelt sich in ihrer Mimik wieder. Sie ist unsicher ob sie mich als einen schlechten Menschen einstufen soll, oder ob sie Mitleid mit mir haben will. Oh bitte hab Mitleid mit mir, glaube mir, was in meiner Welt passiert lässt alles hier aussehen wie play mobil.
Ich beuge mich näher zu ihr um zu flüstern, beinahe wie nebenher mein Blick über ihre Schultern hinweg ins Nirgendwo.
Sie kommt mir entgegen, als wäre sie es gewohnt, dass andere nicht laut aussprechen was ihnen auf dem Herzen liegt.
Meine Stimme klingt ganz leise, wie es so ist beim flüstern.
“Manchmal ist es Liebe, wenn du deinem Kinde weh tust…“

Dann richte ich mich wieder auf und lächel sie freundlich an: „Guten Abend Miss Boyle!“

Frau Boyle bewegt sich nicht, ich entnehme ihrer Mimik einen inneren Kampf, denn ich habe nicht gelogen. Und sie ist klug genug es zu erkennen.
Ich bin schon fast durch die Tür, als sie mir nachruft…bitter..will ich sagen.
„….und wenn sie die Wahrheit nicht hören WILL??“
Ich bleibe stehen und denke kurz darüber nach. Tu was du willst?
Natürlich wäre es deutlich cooler einfach so stehen zu bleiben, zu antworten und weiter zu gehen, aber ich bin eine höfliche Person, also drehe ich mich um und sehe sie an.

„Dann ist die Zeit, die sie mit ihr verbringen vergeudet Miss Boyle, denn dann hat sie sich dazu entschieden nur zu leiden und nichts zu ändern…“
Für einen Augenblick schiele ich nach rechts… nur leiden…Ich lächel etwas, lass den Gedankengang und sehen Frau Boyle wieder an.

„So oder so tat ich ihr einen Gefallen…“
Das wars aber dann an Kommunikation. Ich nicke, durchschreite die Tür, betrete den Gang..steige die Stufen hinab und verlasse kurz darauf das Haus, neben deren Eingangstür ein Schild prangert.

„Selbsthilfe e.V. Öffnungszeiten: Mo – Fr. 10 – 15 Uhr
18 – 22 Uhr
Sa. 16 – 22 Uhr.“

Oben am Fenster steht Frau Boyle und sieht mir nach.

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