La Luna

Scheinbar ziellos. So ist es jedes Mal. Jedesmal, wenn es mich in die Nacht hinaus zieht. Wenn die Mauern des eigenen Heims beginnen enger zu werden, einem die Luft nehmen. Wenn man sich der toten Materie, um sich selbst herum, bewußt wird. Wenn man glaubt zu fühlen, wie sich die künstlich gebändigte Elektrizität im Raum staut.
Dann flüchte ich raus, fliehe zur Mutter, um ihren Odem aufzunehmen und auf das er mich reinigen möge von der Plage Zivilisation.
Mein Weg ist mein Ziel. Die Nachtluft heilt meine Smog verseuchten Lungen. Die Zweige und Nadeln des Waldes kratzten die falsche Maske der Unnatürlichkeit von meinem Leib. Die Welt ist ein schlechter Ort geworden, für jene, welche der Mutter so nahe stehen wie ich. Es schmerzt mich jeden Tag, zu sehen, wie die Menschheit, das größte aller Geschenke, mit Füßen tritt. Wie sie ihre Abstammung verleugnen und zerstören, statt aufzubauen. Nehmen statt zu geben. Vergessen, anstatt sich zu erinnern, WER ihnen ihr Leben schenkte. Sie ehren nicht, was sie hervorgebracht hat. Es stimmt mein Herz traurig. Ich habe Mitleid, denn wie können sie wirkliche Freude, wirkliche Liebe…jemals in ihrer kurzen Zeit empfinden, wenn sie sich so weit von ihren Wurzeln gelöst haben. Sie geifern nach Leben und Erfüllung, ziehen rastlos umher – stopfen ihre Lücken mit Fassaden, die keinem zweiten Blick standhalten und stürzen mit jedem Verlust tiefer in ihre Unzufriedenheit – welche sie mit noch mehr Fassaden und Scheinbedürfnissen zu stillen suchen. Verirrte Kinder. Ich kann nur mit fühlen, sie nicht hassen, denn sie bestrafen sich selbst für ihre Unwissendheit.
Es könnte so einfach sein. Im Einvernehmen mit der Mutter. Verlören sie auch jeglich Hab und Gut, so wären sie doch glücklicher.
Ich halte in meiner Wanderung inne und atme bewußt, ganz bewußt die kühle Luft ein und wieder aus. Nehme wahr, wie sie mich erfüllt und die Lebensgeister in mir beflügelt.
DAS ist Leben.
Durch den Schleier, des Rausches Atem und der aufkeimenden Zufriedenheit, dort zu sein wohin ich gehöre, fühle ich eine Präsenz. Meine Schritte führen mich zwischen den Bäumen hindurch an den Rand einer kleineren Waldlichtung.
In deren Mitte steht eine Gestalt. Eine junge Frau wie mir scheint. Ihr Blick in den Himmel gerichtet, den vollen Mond betrachtend – absolut bewegungslos, als hätte sie jemand dorthin gemalt. Keine Schönheit im eigentlichen Sinne. Ihre langen dunklen Haare wirken zersaust, als hätten sie schon seit längerem keine Schere gesehen – dennoch nicht ungepflegt. In dem blauen Mondlicht, ist ihr Anglitz unnatürlich blass – die Hälfte, die ich sehen kann.
Andächtig. Ihre Arme hängen einfach nur hinab, ihr Körper aufrecht, aber nicht angespannt, als würde sie beten. Den Mond anbeten. La Luna.
So wie sie dort steht, eins mit der Nacht, scheint mir die Aura, welche sie umgibt fast greifbar. Voll mit Leben. Bewußtem Leben. Stark. Anziehend. Ihr unscheinbares Äusseres in nichtsagende Kleidung gehüllt, gleicht einem Stück Kohle. Klein und schmutzig von aussen, aber im Inneren noch immer glühend. Genug um sich daran zu wärmen. Heiss genug, um ein allesverzehrendes Feuer zu entfachen.
Sie interessiert mich.
Lautlos stehle ich mich im Schutze der Dunkelheit am Waldrand entlang. Näher an sie heran, um sie besser Betrachten zu können. Ihr Kopf zuckt leicht. Eine winzige, fast nicht wahrnehmbare Bewegung, als würde sie ihre Ohren spitzen, um besser hören zu können. Aber sie kann mich nicht gehört haben, den meine Schritte sind leiser, als der mit den Blättern spielende Wind. Dennoch erstarre ich und die kleinen Häarchen in meinem Nacken richten sich auf wie unter statischer Aufladung. Ich bin eins mit der Natur und mein Körper reagiert schneller. Noch bevor sich ein Gedanke gedacht hat, spannen sich meine Muskeln und mein Körper verschmilzt mit dem Schatten, den das Mondlicht den Bäumen des Waldes schenkt. Sie besitzt die Aufmerksamkeit eines Jägers.
Wie reizvoll!
In einer langsamen, fließenden Bewegung senkt und dreht sich ihr Kopf bis sie in meine Richtung sieht. Ihre Augen scheinen schwarz wie die Nacht. Die Art wie sich ihr Blick durch die Schatten bohrt, weckt etwas in mir. Fühle mich angezogen, mein Blut gerät in Wallung.
Ich wittere ihren Geruch. Sandelholz. Moschus. Schweiß. Adrenalin. Und der warme, natürliche Duft, der manchen Frauen erhalten geblieben ist, die sich nicht mit fremden Hormonen vergiften. Sie riecht rein und wahr. Streichelt meine Sinne und meine Halsmuskulatur tritt leicht hervor, als ich mir diese Erkenntnis auf der Zunge zergehen lasse.
Bewegung.
Ich sehe, wie ihre Oberlippe leicht zuckt, es erinnert mich an das Lefzen hochziehen eines Wolfes und das Tier in mir will den Schlund aufreissen, den Mond anheulen, um sie zu begrüßen. Doch mein Instinkt berät mich, ich füge mich meiner Intuition und verhalte mich ruhig. In mir kribbelt es, angenehm – heiss. Ihr Gang ist ein Kunstwerk. Wie sie sich Schritt für Schritt nähert eine Symphony.
Symphony of Destruction. Furchtlos. Bewußt und Selbstbewußt. Und in jeder Sekunde, mit welcher sie tiefer in meine Anwesendheit eintritt, aggressiver – ohne an Geschwindigkeit zu gewinnen, oder an Geschmeidigkeit zu verlieren.
Ich kann das Feuer in ihr körperlich spüren. Gefährlich. Berauschend. Und noch bevor ich erfassen kann warum, trete ich aus dem Schatten, um ihr in die Augen zu sehen. Um zu brennen. Der Drache fesselt sich an die Jungfrau. Wer hängt nun an wem?
Ihr Lächeln, als sie in einen kraftvollen Laufschritt verfällt, gleicht mehr einem Zähne fletschen. Und aus meiner Kehle dringt eine tiefes Grohlen als gebührende Antwort.
Gleich und gleich gesellt sich gern. Doch sie bewegt sich auf meinem Terrain und ich weiß nicht, ob ich ihr das gestatten möchte.
Fragen will sie nicht, nehmen will sie.
Meine Finger strecken sich, lassen ihre Menschlichkeit hinter sich und geben zu erkennen, WER ich wirklich bin.
Keine Sekunde zu spät. Sie stößt sich ab und während sie auf mich zuspringt, verändern sich ihre Gesichtzüge –  ihre wahre Schönheit preis gebend. Ich begehre sie. Öffne meine Arme um sie willkommen zu heißen und zu töten. Als sich ihre Reisszähne in meinen Nacken schlagen, umarme ich sie und meine Klauen dringen fast zärtlich durch ihre Haut, in ihr Fleisch und laben sich an der Wärme der Glut ihres Inneren. Ein schmerzvolles Knurren, ihr Biß verstärkt sich und die Vibration ihres Leids pflanzt sich über ihre Zähne in meinen Leib… Bewegt und erregt mich. Ihre Krallen tun es meinen gleich. Schneiden sich zwischen meine Rippen, als wollte sie mein Herz rauben. Das MUSS Liebe sein. Sie geht mir durch und durch. Ich schreie meine Pein dem Mond entgegen und er segnet mein Flehen mit neuer Kraft. Vergelte ihre Zärtlichkeiten, indem ich ihren Rücken hinab streichle. Klaffende Wunden hinterelassend, aus denen ihr Blut quillt. Dieser Gerucht stielt sich in meine Nase und macht mich wilder. Leidenschaftlicher. Will die Maske von ihrem Fleisch ziehen, um mich an ihrer Seele satt zu sehen. Nur das Beben ihres Körpers lässt mich ihren Schmerz fühlen, denn ihre Kiefer pressen sich unerbittlich aufeinander – kein Platz um einen Laut von Innen nach Aussen dringen zu lassen. Wir fallen. Eine wache Sekunde in meinem Rausch macht mir klar, dass mein Genick brechen wird, wenn ich sie nicht von mir lösen kann. Mit dem Gebrüll eines verwundeten Tieres, kralle ich mich in ihr Fleisch und reisse ihren Körper weg von mir, in die Luft. Ihre Klauen lösen sich aus meinen Knochen, doch der Druck, der meine Wirbel zu brechen droht, wird nicht schwächer. Getrieben von der Angst um mein Leben, von der Wut in meinem Fleisch und der Gier nach ihrem Tod, ziehe ich eine Hand aus ihrem Rücken,  – mit der anderen halte ich ihren, an sich so schmalen Körper über mir schwebend – suche blind vor Schmerz und Hass und Liebe ihre linke Brust, liebkose sie, greife nach Innen …
….und berühre ihr Herz.
Da hält sie still. Und ihre scharfen Reisszähne lassen ab von meinem Nacken. Sie hat sich noch nicht ganz zurück gezogen, da werfe ich sie von mir weg. Reste meiner Haut verfangen sich in ihrem Gebiss.  Ich will sie töten, ihr Herz verletzten und wenn sie schreit, sie ganz zerfetzten. Ihr Fleisch will ich fressen, mich bedanken für meine Pein. Ihr Körper prallt gegen einen Baumstamm, ein ekelhaftes Geräusch, Knochen die brechen. Musik in meinen Ohren.
Ungestüm erhebe ich mich, ihr nach stürzend. Ein Ende machen. Niemand. NIEMAND!!!
Sie liegt dar, seltsam verdreht, zerrissen… In ihrer menschlichen Gestalt. Doch mein Blut rinnt noch über ihr Kinn, macht ihr Gesicht zu der Fratze des Tieres, dass in ihr lebt.
Schon bin ich über ihr, bereit der Mutter zu opfern was sie schuf.
Ein Wimmern kündigt eine Bewegung an, schwach und unter Schmerzen. Etwas in mir zwingt mich Inne zu halten, um zu sehen.
Ihr Kopf legt sich in den Nacken, mir ihre Kehle darbietend. Sehe wir ihr Puls schlägt. Und eine heisse Gier, ganz anderer Natur ergreift von mir Besitz.
Anstatt ihr die Haut vom Schädel zu reissen, lecke ich mein Blut von ihren Lippen. So süß. Mein Herz schlägt noch immer schnell. Je mehr ich von ihr schmecke, desto bewußter werde ich mir, dass ich sie wirklich will. Lebend. Für mich. Um mich mit ihrer Kraft zu verbinden. Um mich an sie zu binden.
Und ich frage mich, wer den Kampf wirklich verloren hat….

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